Niedersächsischer Landtag – 16. Wahlperiode Drucksache 16/5300 

Bericht,  21. Parlamentarischer Untersuchungsausschuss, Hannover, den 18.10.1012 



1. Minderheitsbericht der Ausschussmitglieder der Fraktion der SPD 

18.10.2012

S. 76

6.4 Langzeitsicherheitsnachweis 

In der Braunschweiger Zeitung vom 29.9.2012 (Seite 32) äußerte sich der ehemalige Abteilungsleiter der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB), Professor Helmut Röthemeyer, wie folgt: 


„Einen Langzeitsicherheits-Nachweis im Wortsinn kann es weder für die Asse noch für irgendeine andere Untertage-Deponie geben.“ 


Es stellt sich die Frage, aus welchen Gründen der Begriff der „Langzeitsicherheit“ noch immer Verwendung findet, selbst dann, wenn damit Prognosen und Bewertungen gemeint sind. Es liegt der Schluss nahe, dass mittels dieser Wortwahl erneut eine Pseudo-Sicherheit vorgegaukelt werden soll, die jeglicher Grundlage entbehrt. Das Ziel kann nur sein, allen Nicht-Fachleuten dieses Bereiches die Unwahrheit zu sagen, d. h., sie zu belügen. 



2. Minderheitsbericht des Ausschussmitgliedes der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen 

18.10.2012 

Ergebnisse des 21. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Thesen 


Die Lehren aus dem Desaster im Atommülllager Asse II  

Erkenntnisse 

1. Die Auswahl der Asse als Atommülllager geschah grob fahrlässig unter bewusster Ausblendung zu erwartender Risiken. 

 

2. Schon vor Beginn der Nutzung gab es Laugenzuflüsse in der Asse.  

Die radioaktive Kontamination der Laugen wurde über viele Jahre vertuscht.  


3. Das radioaktive Inventar der Asse ist deutlich höher als offiziell deklariert, abschließend konnte die Frage des tatsächlichen radioaktiven Inventars aber nicht geklärt werden 


4. Die Asse war Versuchsendlager und Prototyp für das geplante Endlager in Gorleben. Die Öffentlichkeit ist über lange Zeit hinweg über die Eigenschaften von Salzstöcken als Lagerstätten für Atommüll getäuscht worden.  


5. Die Asse wurde als Teil des Entsorgungsvorsorgenachweises der Atomkraftwerke gebraucht; dementsprechend stark war der Druck der Atomindustrie, die Asse möglichst lange als Endlageroption offen zu halten und die Salzlinie nicht in Frage zu stellen. 


6. Die Wissenschaft und die Forschung wurden als Deckmantel benutzt, um die Einrichtung einer Anlage zur billigen Beseitigung von Atommüll zu verschleiern. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung (GSF) als Großforschungseinrichtung des Bundes mit einem rechtskonformen Betrieb und einer rechtskonformen Schließung der Asse völlig überfordert war. 


7. Der Rahmenbetriebsplan von 1997 ließ eine Flutung der Asse nicht zu. Die Verfüllung und Flutung des Tiefenaufschlusses der Asse erfolgte rechtwidrig ohne die notwendige Genehmigungsgrundlage.  


8. Ein Langzeitsicherheitsnachweis für das von der GSF geplante Schließungskonzept ist nicht möglich. 


9. Mangelnde Transparenz und fehlende öffentliche Beteiligung haben den massiven Verstoß gegen Berg- und Atomrecht ermöglicht. 


Verantwortliche: 


1. Die Einrichtung und der Betrieb der Asse wurden über Jahre und Jahrzehnte von einem Atomindustriellen Komplex (AIK) gesteuert, dahinter standen energiepolitische, aber letztlich auch militärische Interessen. 


2. Grundsätzlich tragen die Verantwortung alle unmittelbar für die Asse zuständigen RessortministerInnen und Ministerialbeamten sowie alle Wissenschaftler und Gutachter, die Mängel und Risiken der Asse erkannt, aber nicht öffentlich gemacht haben.  Besondere Verantwortung tragen alle Personen, die durch aktive Vertuschung zu dem Asse-Desaster beigetragen haben. Dazu gehören insbesondere die „Diener zweier Herren“ - Akteure, die zwischenzeitlich oder im Anschluss an Leitungsfunktionen im öffentlichen Dienst hochrangige und hochbezahlte Tätigkeiten bei oder für Unternehmen der Atomindustrie, beim Atomforum oder bei Foratom wahrgenommen haben.  


3. Die amtierende niedersächsische Landesregierung trägt Verantwortung für die Teilflutung der Asse ohne Abschlussbetriebsplan und Langzeitsicherheitsnachweis, die Verklappung von radioaktiven Laugen ohne Genehmigung und die Nichtveröffentlichung von Informationen zu radioaktiven Laugen mit Belastungen oberhalb der Freigrenzen nach der Strahlenschutzverordnung. 


4. Bisher sind nur zwei niedersächsische Beamte wegen dienstlicher Vergehen disziplinarisch zur Verantwortung gezogen worden.

 

5. Über eine Strafanzeige ehemaliger Beschäftigter der Asse wegen gesundheitlicher Folgen ihrer Tätigkeit hat die Staatsanwaltschaft noch nicht entschieden. 


Konsequenzen 

1. Nur die Rückholung des Atommülls aus der Asse kann sicherstellen, dass Menschen und Umwelt in Zukunft nicht durch Austritt der Radioaktivität in die Biosphäre Schaden nehmen werden. 


2. Asse II hat unserer Gesellschaft die Unbeherrschbarkeit der Atomtechnologie mit all ihren systemischen Unzulänglichkeiten und Risiken vor Augen geführt. Der Ausstieg aus der gefährlichen Kernenergie muss beschleunigt werden. 


3. Die Atomindustrie muss an den Kosten der Sanierung der Asse beteiligt werden. Das Haftungsrecht für Atomanlagen und die Gebühren für die Lagerung von Atommüll müssen im Sinne des Verursacher- und des Vollkostenprinzips grundlegend neu geregelt werden. 


4. Ein grundlegender Neubeginn bei der Suche nach einem Ort und einer Methode zur langfristig sicheren Lagerung von Atommüll ist zwingend. Alle kommenden Generationen sind faktisch mit den Folgen einer unterirdischen Dauerlagerung von Atommüll konfrontiert. Deshalb sollte im Atomgesetz der Begriff „Endlagerung“ durch „Dauerlagerung“ ersetzt werden. 


5. Für Forschungsarbeiten, die von Einrichtungen der Länder, des Bundes oder der EU durchgeführt oder in Auftrag gegeben werden, muss es vollständige Transparenz und eine Veröffentlichungspflicht geben.  


6. Der im Grundgesetz verankerten Wissenschaftsfreiheit muss eine gesetzlich normierte „Wissenschaftsverantwortung“ an die Seite gestellt werden. Wissenschaftler müssen eine Unterrichtungspflicht haben, sofern sie befürchten, dass Forschungsergebnisse bzw. deren Umsetzung eine Gefahr für Gesundheit und Leben bergen. 


7. Umfassende Beteiligungs- und Mitentscheidungsrechte für die Bevölkerung müssen im Planungs- und Verwaltungsrecht verankert werden. Das Landesbergamt muss grundlegend reformiert werden. 


8. Alle Aktenbestände aus dem Asse-Verfahren müssen öffentlich zugänglich werden, um weitere Forschung und wissenschaftliche Analyse zu ermöglichen. Die Aufbewahrungsfristen für Akten zur Lagerung von Atommüll sind deutlich zu verlängern. 


9. Aus den besonderen zeitlichen Umständen und den komplexen politischen, fachlichen und juristischen Zuständigkeiten für das Asse-Desaster ergibt sich, dass einzelne Akteure nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden können bzw. Tatbestände verjährt sind. Die politische Verantwortung bleibt bestehen. Für die Zukunft muss geprüft werden, inwieweit eine Änderung des Straf- und Zivilrechts notwendig ist, um im Einzelfall die Strafbarkeit zu ermöglichen. 


10. Der in Artikel 20 a des Grundgesetzes formulierte Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen muss im internationalen Recht verankert und mit entsprechenden Sanktionsmöglichkeiten versehen werden Zur Ahndung von  Verbrechen gegen die natürlichen Lebensgrundlagen von Menschen, Tieren und Pflanzen ist die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes erforderlich. 


S. 84

Einleitung

[B]ei Beginn der Einlagerung radioaktiver Abfälle [lagen] keine fundierten Kenntnisse vor, die eine fachlich-wissenschaftliche Entscheidungsbasis für die Schachtanlage Asse II als geeignetes Endlager für Atommüll geliefert hätten. Die mit den ersten Einlagerungen und später vorgelegten Sicherheitsberichte und Gutachten hatten reinen Behauptungscharakter, da die zur Beurteilung der gebirgsmechanischen und hydrogeologischen Situation im Salzstock Asse erforderlichen Grundlagendaten erst in den Folgejahrzehnten, und auch dann nur teilweise, ermittelt wurden. 


Ob eine dauerhafte Verseuchung von Grund- und Trinkwasser in der Region und im Wassereinzugsbereich der Asse noch vermieden werden kann, hängt von einer sorgfältigen Notfallplanung und den Maßnahmen zur Rückholung des Atommülls ab. Der Nachweis der Langzeitsicherheit, der vom früheren Betreiber vorgelegt werden sollte, ist nach einem Jahrzehnt Vorarbeit im Jahr 2007 endgültig gescheitert, obwohl dort mit einem deutlich zu niedrigen radioaktiven Inventar und einem viel kürzeren Zeitraum als bei anderen Endlagern gerechnet worden war. Ein beschleunigter, unkontrollierter Wassereinbruch könnte zur Auflösung von 3 Mio. m3 Carnallit im Kern des Bergwerks führen. Damit entstünde ein riesiger unterirdischer Hohlraum, der zu dem sogenannten Tagesbruch führen könnte. In diesem Fall entstünde ein Kratersee im Höhenzug der Asse.  


S. 85

Die geschätzten Kosten [für eine Rückholung des Inventars der Asse] liegen bei 2 Mrd. bis 4 Mrd. Euro. Die Industrie muss als Verursacher und Anlieferer von etwa 90 bis 95 % des radioaktiven Inventars auch 90 bis 95 % der gesamten Kosten übernehmen.


S. 86

[Es] verstrich ein weiteres Jahrzehnt, in dem die letztlich erfolglosen Arbeiten zum Nachweis der Langzeitsicherheit durchgeführt wurden. Diese gipfelten in dem Strategiewechsel von der Trocken- zur Nasslagerung. Tragisch ist, dass die entscheidenden Aussagen schon Ende der 70er-Jahre mit der Arbeit von Dr. Helge Jürgens vorlagen. 


1979 mit der Studie von Dr. Hans-Helge Jürgens [lag] das mögliche Schadensszenario klar und deutlich öffentlich auf dem Tisch. Diese frühe Prognose hat das Kernproblem der Asse und die daraus drohenden Gefahren richtig beschrieben. Die Regierung Albrecht überging genauso wie GSF und die Bundesministerien diese kritische Stellungnahme und stellte auch ernste Bedenken der Bergbehörden zurück, weil die Asse weitere Funktionen als Forschungsbergwerk für Gorleben und als Entsorgungsvorsorgenachweis für laufende Atomkraftwerke zu erfüllen hatte. Die damalige Bundesregierung Schmidt drängte ebenfalls auf eine Weiternutzung der Asse. Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) kannte den Jürgens-Bericht, zog aber ebenfalls keine bekannten Konsequenzen.


S. 87

Im Jahr 1997 wurde von der Landesregierung schließlich ein neuer Rahmenbetriebsplan erlassen, der eine trockene Schließung der Asse vorsah. Zu diesem Zeitpunkt hätte man bereits erkennen müssen, dass diese Option faktisch nicht mehr möglich war. Parallel zur nunmehr angelaufenen Verfüllung der Abbaue der Schachtanlage Asse II wurde eine erneute Untersuchung des Lösungsverhaltens der Salzgesteine erarbeitet. Gleichzeitig begann die Arbeit an einem Langzeitsicherheitsnachweis. Die Untersuchung zum Lösungsverhalten zeigte ein Ergebnis, das bereits 1979 bekannt war und im Übrigen jedem Bergmann schon vor Beginn der Einlagerung bewusst gewesen sein muss. Die Auflösung der Carnallitsalze war bei einem Fortschreiten der Wasserzutritte nicht zu verhindern. Weder die Bundesregierung noch die Landesregierung zogen notwendige Konsequenzen. Stattdessen schlug die Fa. Ercosplan dem Betreiber GSF Anfang des neuen Jahrtausends einen radikalen Strategiewechsel vor. Anstelle der Trockenlagerung solle eine Nasslagerung von Atommüll vorgesehen werden. Beim Regierungswechsel 2003 in Niedersachsen lag noch immer kein Langzeitsicherheitsnachweis des Betreibers GSF vor. Von einem Konzept für die trockene Endlagerung war der Betreiber offenbar abgerückt. Jetzt arbeitete man an einem Langzeitsicherheitsnachweis für eine nasse Lagerung von Atommüll. Die Magnesiumchloridlösung, mit der der Betreiber GSF das Bergwerk fluten wollte, wurde euphemistisch als Schutzfluid bezeichnet. Die Befragung der Zeugen auf Ministerebene war in Bezug auf direktes Wissen und direkte Entscheidungen außerordentlich unbefriedigend. Es war erkennbar, dass sich sehr viele Zeugen auf eine juristisch nur schwer angreifbare Formulierung zurückzogen, die sich im Wesentlichen auf mangelhaftes Erinnerungsvermögen beruft. Letztlich waren die Auswertungen der Akten deutlich ergiebiger als die Zeugenaussagen. Die Akten zeigen, dass insbesondere die Abteilungsleiterebene der zuständigen Ministerien auf Bundesebene einen umfassenden Überblick über die Situation in der Asse hatte. Die Abteilungsleiter verfügten über mehrere Zugangsmöglichkeiten zu relevanten Informationen: über Gespräche mit der Industrie, über Berichte vom Land, über Berichte von der GSF, über den Aufsichtsrat der GSF und über die RSK. Wie detailliert die Minister jeweils informiert waren, lässt sich nur schwer erschließen, da die Akten, die zum sogenannten Kernbereich der Willensbildung der Landesregierung und der Bundesregierung gehören, fast durchweg fehlen. 


S. 88

Die Relevanz der Vorgänge in der Asse wurde auch von dieser Bundesregierung nicht erkannt. Das ist auch deshalb tragisch, weil das Desaster in der Asse gezeigt hat, dass Grundannahmen zur Sicherheit von Salzstöcken für die Endlagerung von Atommüll falsch gewesen sind. Obwohl noch kein Langzeitsicherheitsnachweis vorlag, stimmte die Regierung von Ministerpräsident Christian Wulff nunmehr einer Teilflutung des Bergwerks zu. Ende 2003 wurde das untere Drittel - der so genannte Tiefenaufschluss - geflutet. Rechtsgrundlage war allein ein bergrechtlicher Sonderbetriebsplan - kein bergrechtlicher Abschlussbetriebsplan, keine atomrechtliche Genehmigung, kein Langzeitsicherheitsnachweis. Damit wurde Fakten geschaffen, die kaum je wieder aus der Welt zu bringen sind. Offen bleibt, ob dabei auch radioaktive Stoffe aus den Versuchs- und Forschungseinlagerungen verschüttet worden sind. 


Der nach dem Gesetz zwingend vorgesehene Langzeitsicherheitsnachweis konnte trotz mehrfacher Verlängerung und Beteiligung fast aller einschlägigen Firmen und Institute in der Bundesrepublik nicht erbracht werden. Einen Sicherheitsrabatt beim Langzeitsicherheitsnachweis kennt das Atomrecht jedoch nicht. In der Folge kam der Optionenvergleich des BfS zu dem Ergebnis, dass nur mit der Rückholung des Atommülls langfristig Sicherheit für die Schutzgüter Mensch, Biosphäre und natürliche Lebensgrundlagen gewährleistet werden kann.


S. 90

Spätestens mit den immer weiter zunehmenden Problemen mit der Standfestigkeit, dem nicht kontrollierbaren Laugenzufluss aus dem Deckgebirge und dem nicht auszuschließendem Absaufen der Grube Asse stand auch die sogenannte „Eignungshöffigkeit“ von Gorleben in Frage. Das Dogma vom Selbstverschluss aller Risse und Spalten im Salz, das bis 2008 galt, ist widerlegt. Durch das Desaster des Versuchsendlagers, Forschungsbergwerks und „Endlagers“ Asse II mussten die Entsorgungsvorsorgenachweise in den 90er-Jahren umgeschrieben werden. Dabei kam dem alten DDR-Atommülllager Morsleben eine neue Funktion zu; mit dem Schacht Konrad wurde eine „Streckung“ der Entsorgungsvorsorge vorgenommen und Gorleben wurde zusätzlich als Ort für noch nicht durchgeführte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten definiert. Fakt ist jedoch, dass alle bisherigen Annahmen zur Sicherheit von Endlagern im Salz falsch waren. „Forscher: Sicher für alle Zeiten“, dieses Zitat stand im Mai 1969 in fast allen großen überregionalen Zeitungen der Bundesrepublik Deutschland. Gemeint war die Schachtanlage Asse. Gezeichnet hatten diese Aussage das Bundesforschungsministerium, EURATOM und die Asse-Betreibergesellschaft GSF. Das Thema Rückholbarkeit und Bergung hat die Endlagerforschung eingeholt. Eklatante Forschungslücken wurden offenbar. 


S. 94

Die Gebührenordnung für Hausmüll ist strenger gefasst als die Endlagervorausleistungsverordnung für Atommüll, die den Abfallverursachern nur lächerlich geringe Gebühren abverlangt.


S. 97

Auch nachdem bekannt war, dass der Wasserzufluss in der Asse aus dem Deckgebirge stammt, stellte der ehemalige Abteilungsleiter des BfS, späterer Vorstand von Vattenfall und Inhaber eines Stiftungslehrstuhls an der RWTH Aachen, Bruno Thomauske im Jahr 2005 fest:

 „ ... das Wirtsgestein Steinsalz, das als einziges keine Wasserführung besitzt und damit einen vollständigen Einschluss ermöglicht, (hat) einen herausragenden Vorteil gegenüber allen übrigen Wirtsgesteinen. Sein Vorteil ist bis heute unwiderlegt.“53 


Thomauske wusste es längst besser. Er hatte ausweislich der Anwesenheitsliste im Jahr 1996 an einem Fachgespräch zur Asse teilgenommen, das von der GSF in Reaktion auf den sogenannten „Kaul-Brief“ durchgeführt wurde. Anlässlich dieses Fachgesprächs wurde auch die Arbeit von Herbert vorgestellt, die einen Wasserzufluss aus dem Deckgebirge aufzeigte. 


Auch die BGR ignorierte die Entwicklung in der Asse und stellte noch im Jahr 2008 fest: Die „Konvergenz des Salzes führt zum Selbstverschluss von Rissen und Hohlräumen“ ... „Die Annahme, dass Steinsalz seine Funktion als Barriere erfüllen kann, hat sich bestätigt“54 


S.142 - 146

10.7 Die einsamen Rufer in der Wüste: Umgang mit kritischen Stimmen 


Immer wieder hat es im Laufe der letzten Jahrzehnte Warner gegeben, die auf Gefahren hingewiesen haben, die von der Einlagerung von Atommüll in der Asse ausgehen. Aber diese Hinweise führten nie dazu, dass eigene Ergebnisse der GSF in Frage gestellt wurden. Weder in den zuständigen Genehmigungs- oder Aufsichtsbehörden noch in Begleitgremien wie der RSK lösten sie Fachdiskussionen aus. Die folgenden drei Beispiele verdeutlichen das. 

 

10.7.1 Der Fall Jürgens 

1979 erscheint die Abhandlung „Atommülldeponie Salzbergwerk Asse II - Gefährdung der Biosphäre durch mangelnde Standsicherheit und das Ersaufen des Grubengebäudes“.295 Herausgeber sind aber nicht etwa die GSF als Betreiberin oder die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe BGR als geowissenschaftliche Beratungseinrichtung der Bundesregierung, die im gleichen Jahr ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass die Standsicherheit nicht gegeben sei, sondern Dr. Hans-Helge Jürgens, ein junger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Hydromechanik und Küstenwasserbau am Leichtweiß-Institut der TU Braunschweig. Jürgens hat sich 1977 vor Ort der Bürgerinitiative Arbeitskreis gegen Atomenergie angeschlossen und arbeitet dort in der Arbeitsgruppe Asse mit. Während seines Studiums hatte er bereits mit der Geologie der Asse zu tun gehabt. Er forderte Daten aus dem IfT an und besorgte sich einen Bericht zur Standsicherheit der Asse aus dem Jahr 1974, den Kühn mit seinen Kollegen Staupendahl, Borchert und Dürr verfasst hatte.296 Nach anderthalb Jahren legte er seine Arbeit vor. Im Ergebnis kam er zu dem Schluss, dass ein Wasserzutritt über die Südflanke die Gefahr eines Tagesbruchs berge, was letztlich eine Freisetzung von Radioaktivität in die Biosphäre bedeuten würde. Am 15. März berichtet das ARDMagazin Kulturspiegel über Jürgens Arbeit und die GSF reagiert. Eine zeitnahe Gefährdung der Standsicherheit sei nicht gegeben. Selbst im Falle eines GAUs sei eine Freisetzung von Radionukliden ausgeschlossen. Jürgens sei kein Bergmann, ihm fehle die nötige Sachkenntnis. Nach Ausstrahlung der Sendung wurde Jürgens zu seinem Professor zitiert und dafür gerügt, dass im Beitrag das Leichtweiß-Institut eingeblendet gewesen sei. Nach seiner Promotion findet er keine Arbeit in der Region, weil seine Institutskollegen potenzielle Arbeitgeber davor warnen, er arbeite für Bürgerinitiativen.297 Kühn wiederholte später bei seiner Vernehmung im Untersuchungsausschuss, die Wissenschaftler der GRS hätten sich zwar intern mit dem Papier von Jürgens beschäftigt, seien aber zu anderen Ergebnissen gekommen, weshalb es keine Notwendigkeit gegeben habe, genauer auf seine Einwände einzugehen. „(...) wir haben einen Laugenzutritt als Störfall in Betracht gezogen und uns auch mit den Konsequenzen beschäftigt, die ein solcher Störfall verursachen könnte. Insofern war von uns aus gesehen keinerlei Notwendigkeit vorhanden, öffentlich auf die Einwände oder auf die Papiere von Herrn Jürgens zu reagieren.“298. Dabei kritisiert selbst das Landesamt für Bodenforschung 1980 in einer Stellungnahme zu einem Gutachten der GSF mit dem Titel „Störfallbetrachtung für ein mögliches Ersaufen des Grubengebäudes Asse II durch Vergleiche aus der Praxis des deutschen Kali- und Steinsalzbergbaus299, dass auf die Arbeit von Jürgens nicht eingegangen werde, obwohl das NLFB die dort dargelegte Argumentation schlüssig finde.300 Selbst die ReaktorSicherheitskommission (RSK) hat sich ausweislich der in den Akten gefundenen Tagesordnung am 27.08.1980 mit der Studie von Jürgens befasst.301 Leider enthalten die Akten kein Protokoll der Aussprache. Öffentlich reagiert hat die RSK auf dieses Papier jedenfalls nie. Selbst von der Politik eingesetzte wissenschaftliche Fachkommissionen haben Gegendarstellungen zu den Behauptungen der GSF zwar zur Kenntnis genommen, aber sie haben keine Konsequenzen daraus gezogen.


10.7.2 Der Fall Herbert 

Aber nicht nur die Wissenschaftler vor Ort sind Teil der Vertuschungs- und Verschleierungsmaschinerie. Von 1988 bis 1995 arbeitet ein Mitarbeiter des Instituts für Tieflagerung zum Thema Laugenmigration. Dr. H.-J. Herbert stellt im Jahr 1995 gemeinsam mit einem Kollegen am Institut für Tieflagerung der GSF in einer Studie fest302, dass die Laugen, die seit 1988 in die Schachtanlage Asse zuflossen, nicht allein aus einem begrenzten Reservoir in der Salzformation kamen. Festgestellt wurde, dass alle 330 Proben aus zwei Komponenten bestanden. Eine dieser Komponenten stammte aus dem Deckgebirge. Damit war klar, dass es eine direkte Verbindung zu Grundwasser führenden Schichten im Deckgebirge und damit in die Biosphäre gab. Spätestens jetzt hätte die GSF eingestehen müssen, dass alle Annahmen der Vergangenheit hinfällig waren. Was mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen wurde, war nur zehn Jahre nach Ende der Einlagerungen eingetreten. Stattdessen tat die GSF alles dafür, dass diese Ergebnisse nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Die Ergebnisse dieser Forschungsreihe fließen in Herberts Habilitationsschrift an der Universität Kiel ein. Darin übernimmt er die folgenden Schlussfolgerungen bezüglich der Asse. Erstens: Eine wichtige Komponente der auftretenden Laugen stammt aus dem Deckgebirge. Zweitens: Deren Anteil an der zutretenden Lauge nimmt im Laufe der Jahre immer weiter zu. Die Geschäftsführung der GSF in Neuherberg untersagt ihm aber, diese beiden Punkte zu veröffentlichen und meldet für weitere Textstellen Korrekturwünsche an. In einem Schreiben wird er am 01.08.1996 aufgefordert, vor einer Veröffentlichung neue Fassungen von einigen Kapiteln vorzulegen. „Die von uns der Bergbehörde übermittelten Berichte unterliegen grundsätzlich einem besonderen Schutz, d. h. sie unterliegen der Vertraulichkeit. Gleiches gilt auch für die auf Wunsch des BMBF hinzugezogenen Sachverständigen. Dies wurde von uns und vom BMBF ganz besonders auch anlässlich der beiden Fachgespräche und bei allen anderen Erörterungen mit Behörden betont.“303 Die Geheimhaltung aller Vorkommnisse in der Asse, die sicherheitsrelevant waren, hatte offenbar System. Bei den Vernehmungen im Untersuchungsausschuss bestätigen Kühn und auch Brewitz, dass grundsätzlich alle Veröffentlichungen von Neuherberg freigegeben werden mussten. Es brauchte offenbar Jahre, ehe Herbert seine Arbeit veröffentlichen durfte. Noch in einem Schreiben vom 26.05.1998 heißt es: „Die farbig markierten Änderungen sind zu übernehmen (...) Wir bitten Sie, das komplett überarbeitete Manuskript mit einem ausgefüllten Veröffentlichungsantrag, unterschrieben von Ihnen und Herrn Prof. Kühn, alsbald vorzulegen304. In der letztlich veröffentlichten Version der Habilitationsschrift, die erst im Jahr 2000 in einer Schriftenreihe der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe erscheint ist dann nur noch von einem „Salzbergwerk in Norddeutschland“ die Rede. Der Zutritt der Laugen aus dem Deckgebirge wird nicht mehr als belegt dargestellt, sondern nur noch als wahrscheinlich bezeichnet.305 Dass die Forschungsreihe in einem atomaren Endlager durchgeführt wurden, wird mit keinem Wort erwähnt. Es mutet makaber an, dass der Autor im Vorwort zu seiner Arbeit behauptet, die Ergebnisse seiner In-situ-Messungen seien „(...) ein Beitrag zur Szenariendiskussion und zur Beantwortung praktischer Fragen der Endlagersicherheit in der Betriebs- und Nachbetriebsphase (...)“.306 

 

Wieder ist Kühn der Mann, der dafür zu sorgen hat, dass die wahren Verhältnisse in der Asse vor der Öffentlichkeit verschwiegen werden. Obwohl er nur als Berater der GSF tätig ist, ist er eng in die Abstimmung zwischen GSF und Dr. Herbert einbezogen. Auf mehrfaches Nachfragen, womit seitens der GSF damals begründet wurde, dass es keine Bezugnahme und keine Rückschlüsse auf den eigentlichen Untersuchungsgegenstand, den Schacht II in der Asse, geben dürfe, verweist Kühn auf die innerhalb der GSF übliche Veröffentlichungsordnung und antwortet immer wieder: ,,Weiß ich nicht, kann ich nicht beantworten. Das war nicht meine Entscheidung.“307 Die Freiheit der Wissenschaft existierte im IFT nicht, was offenbar von den betroffenen Wissenschaftlern klaglos hingenommen wurde.  Bemerkenswert ist aber auch, dass Wissenschaftler außerhalb der Asse sehr wohl erkannten, dass die Beschreibungen Herberts sich auf die Asse beziehen mussten. So heißt es in einer Abhandlung aus dem Jahre 1998, die sich auch auf eine Veröffentlichung Herberts aus 1996 bezieht, verfasst von Prof. Dr. Albert Günther Hermann, ehemaliger Leiter der Lehr- und Forschungseinrichtung ‚Salzlagerstätten und Untergrund-Deponien’ an der TU Clausthal, und Prof. Dr. Röthemeyer, seit 1977 in der PTB zuständiger Abteilungsleiter für Sicherheitsfragen der nuklearen Entsorgung, Fachbereichsleiter im Bundesamt für Strahlenschutz und Herausgeber eines Buches mit dem Titel ‚Endlagerung radioaktiver Abfälle - Wegweiser für eine verantwortungsbewusste Entsorgung in der Industriegesellschaft (1991): „Es wird damit gerechnet, dass in zwei bis acht Jahren (etwa zwischen 2000 bis 2008) Lösungen aus dem Deckgebirge im Grubengebäude zu erwarten sind (Herbert:1996: 125). (...) In der Arbeit von Herbert (...) ist die Asse II zwar nicht explizit genannt, sondern es wird lediglich von einem „Salzbergwerk in Norddeutschland“ gesprochen. Aus der Beschreibung der geologischen Situation geht jedoch eindeutig hervor, daß es sich um das Endlagerbergwerk Asse II handelt.“308 Warum die Erkenntnis, dass die Behauptung, das Ersaufen der Asse könne nahezu ausgeschlossen werden, längst faktisch widerlegt ist, nicht breitere Kreise gezogen hat oder skandalisiert wurde, ist aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. Dass eine anscheinend nicht mal kleine Wissenschafts-Community um die drohenden Umweltrisiken wusste und diese in Teilen ja sogar beschrieb, lässt befürchten, dass es auf Seiten der Wissenschaftler einschlägiger Fachdisziplinen offenbar keinerlei Verantwortungsbewusstsein für die Vorgänge in der Asse gab. 


10.7.3 Der Fall Kaul/Arens 

Die wenigen kritischen Stimmen, wenn sie sich denn zu Wort melden, wurden von der GSF - auch nach den Forschungsergebnissen von Herbert - als unqualifiziert diskreditiert. Am 29.02.1996 schrieb der damalige Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, Prof. Alexander Kaul, einen Brief an den Abteilungsleiter für Reaktorssicherheit im Bundesumweltministerium. Darin verweist er auf einen Workshop der GRS, die in einem Beitrag zur Entsorgung der deutschen Kernkraftwerke auf die Laugenzuflüsse in der Asse hingewiesen habe. Er führt aus, dass er die Auffassung der GRS teile, wonach „größere Schwierigkeiten bei diesem Versuchsendlager [Asse] die Salzlinie als Endlagerwirtsgestein in Frage stellen könnte. In diesem Fall wären das ERAM [Morsleben] nicht mehr zu halten und Gorleben gefährdet.“309 Kaul legt außerdem eine Berechnung vor, die fürchten lässt, dass beim Absaufen der Grube „Strahlenexpositionen weit über den Dosisgrenzwerten des § 45 Strahlenschutzverordnung nicht auszuschließen sind“310 Diese Berechnung hat ein Mitarbeiter des BfS namens Arens verfasst, der Ende der 80er-Jahre bei der GSF in der theoretischen Modellierungsgruppe in Braunschweig beschäftigt war - also durchaus Kenntnis über die Verhältnisse vor Ort hatte. In einem Vermerk vom 21.02.1996, der dem Brief an das BMU beigefügt ist, beschreibt er die Gefährdung durch die in der Asse eingelagerten radioaktiven Abfälle: „Kommt es zum Absaufen der Grube, ist mit einer vollständigen Füllung der Grube mit Lauge zu rechnen. (...) Im Grubengebäude gelöste Radionuklide würden auf nicht definierbaren Wegen in die Umwelt gelangen. (...) Dosisbelastungen um den Faktor 100 über den Werten des § 45 StrlSchV wären die Folge.“311 Laut Aussage Kauls im Untersuchungsausschuss hat er auf dieses Schreiben nie eine Antwort erhalten, hat es aber auch nicht für notwendig befunden, eine solche einzufordern.312 Zwischen BMU und BMBF führte das Schreiben hingegen zu Nachfragen. Am 03.05.1996 schrieb das BMBF, dass die Informationen im Widerspruch zu einer Sicherheitsanalyse der GSF von 1981(!) stehe, nach der selbst nach einem höchst unwahrscheinlichen Störfall zu keinem Zeitpunkt eine unzulässige Strahlenbelastung für die Bevölkerung zu erwarten sei. Im Übrigen sei man in Diskussion mit Sachverständigen über erforderliche Maßnahmen.313  Die GSF hat dem BMBF bereits am 15.04.96 eine schriftliche Stellungnahme zu dem Schreiben aus dem BFS zukommen lassen. Darin wird das von Arens erarbeitete Szenarium als völlig unzulässig dargestellt: „Das vom BFS unterstellte Szenario hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun (...) Die Unterstellung (...), daß sich bei einem Vollaufen der Asse die in den Abfällen enthaltenen Radionuklide vollständig und gleichmäßig in 3 Mio. m3 Lauge auflösen, ist falsch. Zunächst fragt man sich, wo diese große für das Versaufen notwendige Wassermenge bei unseren Kenntnissen der geologischen Verhältnisse der Asse überhaupt herkommen soll. (...) Im Übrigen halten wir es von einer Bundesbehörde, wie dem BfS, für verantwortungslos, derartige oberflächliche und einfache, bar jeder Realität liegende Vermerke in die Welt zu setzen, ohne vorher mit Fachleuten (...) geredet zu haben. Wir hätten natürlich vom BfS aufgrund der jahrelangen vertrauensvollen Zusammenarbeit erwartet, daß man uns den wesentlichen Inhalt dieses Vermerkes zur Kenntnis gibt, bevor man ihn an Ministerien weiter gibt. Dies ist eine Frage des Stils und des vernünftigen Umgangs miteinander.“314 Prof. Kühn wird dem BMBF in diesem Schreiben als Kontaktperson für Rückfragen angegeben. Kühns knappe Antwort auf Fragen zu diesem Vorgang während der Vernehmung im Untersuchungsausschuss: „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das weiß ich beim besten Willen nicht. An den einzelnen Vorgang kann ich mich nicht erinnern.“315 Obwohl ihm das Schreiben ausweislich der Akten am 2. April 1996 auch persönlich als Fax in die TU Clausthal zugestellt wird und sich auf diesem Fax eine handschriftliche Notiz befindet („Horrorszenario“)316, von der er abstreitet, es sei seine Handschrift, bestreitet er die Kenntnis dieses Schreibens: „Nein das kenne ich nicht.“317  


10.8 Wichtige Forschung zur Klärung der Eignung von Salz findet nicht statt 

Kühn bestätigt bei der Vernehmung, dass die Wissenschaftler die Aufgabe hatten, in der Asse gorlebenrelevante Forschung zu betreiben.318 Genau diese Forschung hat aber so gut wie gar nicht stattgefunden. Es gab Pläne, Kugelbrennelemente des AVR-Reaktors in einem Großversuch einzulagern. Der Versuch war 1974 bereits genehmigt, wurde aber auf Druck der Öffentlichkeit zum Glück niemals realisiert. Später wurden drei Großforschungsprojekte geplant (Versuchseinlagerung mittelradioaktiver Abfälle der oberen Aktivitätskategorie; HAW-Projekt; Dammbau-Projekt), die aber nie stattgefunden haben, bzw. 1992 vom BMFT, angeblich wegen zu hoher Kosten, beerdigt wurden. In-situVersuchsreihen mit hoch radioaktivem Müll, wie er in Gorleben eingelagert werden sollte, finden nie statt, obwohl die Reaktorsicherheitskommission, das Bundesforschungsministerium und das Bundesumweltministerium diese Forschung für unverzichtbar für die Genehmigung von Gorleben halten. Die Frage, welche Folgen die Einlagerung des HAW auf die Stabilität des Salzes hat, wurde nie ausreichend untersucht. Der sogenannte Brine Migration Test, den Kühn bei den Vernehmungen als Beweis dafür anführt, dass eine Lagerung von hoch radioaktivem Abfall in Salz tolerabel sei und dass keine negativen Konsequenzen zu befürchten seien,319  wurde mit Kobalt-60-Quellen durchgeführt. Dass der Test damit ohne Betrachtung der Neutronenstrahlung durchgeführt wurde, obwohl Wissenschaftler, die die Salzlinie kritisch sehen, eben diese Strahlung als besonders problematisch im Zusammenhang mit der Stabilität des Salzes sehen, ficht ihn nach eigener Aussage nicht an. Im Untersuchungsausschuss konnte nicht geklärt werden, warum diese Versuche nie durchgeführt wurden. Offiziell wurde angeführt, man habe sich nicht über die Finanzierung einigen können, forschungspolitisch macht diese Begründung jedoch wenig Sinn. Die Beforschung einer solch zentralen Frage nach der Eignung von Salz als Lagermedium für hoch radioaktive Abfälle abzubrechen, obwohl bereits 200 Mio. DM in dieses Projekt geflossen waren, ist - solange keine gegenteiligen Beweise vorliegen - nur damit zu erklären, dass man in den Ministerien in Berlin offenbar nicht mehr glaubte, dass der Ausgang der vorgesehenen Versuchsreihen im Genehmigungsverfahren von  Gorleben dienlich sein könnte. Mit dem Einstellen der Großversuche ist der GSF endgültig ihr Forschungszweck entzogen. Die deutsche Endlagerforschung kapituliert; nur folgerichtig wird das Institut für Tieflagerung am 30.06.1995 nach 30 Jahren aufgelöst.