Überprüfung kerntechnischer Anlagen in Nordrhein-Westfalen


Kritik der Sicherheitseinrichtungen und der Sicherheitskonzepte

des THTR Kernkraftwerks Hamm-Uentrop (THTR 300)

und

des Versuchsreaktors Jülich (AVR)

Prof. Dr. Jochen Benecke

März 1988


http://www.westcastor.de/Benecke_THTR_AVR_komplett.pdf (im Cache)


... daß Dampfexplosionen als ernstzunehmender Unfallpfad anzusehen sind und daß insbesondere die abgeschätzten Wahrscheinlichkeiten "ungewiß,. zufällig und unklar" sind [Zitat aus dem Sandia National Laboratory in New Mexico, USA]. Damit treten wir der Auffassung der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) entgegen, die in ihrem Bericht "Neuere Erkenntnisse zum Unfall im Kernkraftwerk Tschernobyl" vom Februar 1987 schreibt:

"In den letzten Jahren wurden in den USA, in der Bundesrepublik Deutschland und anderen Ländern breit angelegte experimentelle und theoretische Untersuchungen zur Dampfexplosion durchgeführt. Diese Untersuchungen zeigen, daß einzelne begrenzte Dampfexplosionen zwar möglich sind, eine heftige Dampfexplosion, die den Reaktordruckbehälter und zugleich den Sicherheitsbehälter zerstört, als Unfallpfad jedoch ausgeschlossen werden kann."



Benecke-Abb. 3

Abb. 3

Benecke-Abb. 4

Abb. 4

Die Abbildungen 3 und 4 zeigen eine Leistungsexkursion für den THTR 300, die als Ausgangszustand den Reaktor bei Nennleistung hat. Zum Anfangszeitpunkt der Rechnung wird eine negative Abschaltreaktivität von 2000 mNile eingebracht (effektiver Neutronenmultiplikationsfaktor k. Reaktivität Delta k = (k-1)/k ist ein Ausdruck für die Abweichung von der Kritikalität: 1 Nile = 1 %. Die wasserbedingte Reaktivitätsänderung wurde aus Abb. 1 und 2 entnommen. Die Skalen beziehen sich von links nach rechts auf

Die beiden letzteren Skalen sind logarithmisch.

Erklärungen (Quelle: Wikipedia):

The effective neutron multiplication factor, k, is the average number of neutrons from one fission that cause another fission. The remaining neutrons either are absorbed in non-fission reactions or leave the system without being absorbed. The value of k determines how a nuclear chain reaction proceeds.

When describing kinetics and dynamics of nuclear reactors, and also in the practice of reactor operation, the concept of reactivity is used. Reactivity (Delta k) is an expression of the departure from criticality: δk = (k-1)/k (sometimes reactivity is represented by the Greek letter ρ). It is commonly expressed in decimals or percentages (the latter being called "Nile": 1 Nile = 1%) (Quelle: Wikipedia)

Benecke-Abb. 5

Abb. 5

Benecke-Abb. 6

Abb. 6

Die Abbildungen 5 und 6 zeigen eine Leistungsexkursion, die als Anfangszustand den Reaktor bei 40 % Leistung hat. Es wird keine negative Abschaltreaktivität eingebracht. Die beiden Abbildungen beziehen sich wieder auf die beiden Fälle der Abb. 1 und 2


Benecke - Chernobyl

THTR-300

Quelle: http://www.rist.or.jp/atomica/data/fig_pict.php?Pict_No=03-03-03-03-10


HKG-Abb2


Der Reaktor enthielt



Kurzfassung

Seiten XIV - XIX

Die heutigen Hochtemperaturreaktoren (HTR) gehen im Prinzip auf den ersten, von E. Fermi während des Krieges in Chicago erbauten Gas-Graphit-Reaktor zurück. Das zusätzliche Charakteristikum, das ihnen den Namen gab, ist die weit höhere Endtemperatur des Kühlmittels gegenüber Wasserreaktoren. Dies war möglich durch den übergang von Luft als KÜhlmittel

zu chemisch inerteren Gasen (früher CO2, heute Helium). In der Bundesrepublik sind die beiden Hochtemperaturreaktoren AVR (15 MWel) und THTR 300 (300 MWel) in Betrieb. Ein Charakteristikum der westdeutschen Hochtemperaturreaktoren ist die von R. Schulten vorgeschlagene Kugelhaufenform des Reaktorkerns, nach der dieser Reaktortyp oft benannt wird.


Eine Besonderheit des THTR 300, wie auch der Erstbeladung des AVR, auf die das vorangesetzte T hinweist, ist die Verwendung von Thorium 232 als Brutmaterial in den Brennelementen, das im' Reaktorbetrieb teilweise in das spaltbare Uran-Isotop U 233 übergeht. Um diesen Konversionseffekt zu maximieren, wird in den Brennelementen des THTR hochangereichertes Uran (HEU = high-enriched uranium) mit einem Anreicherungsgrad von 93 % (waffenfähig!) verwendet.*) Tatsächlich wird die Idee, das erbrütete U 233 abzutrennen und wiederzuverwenden, was die Entwicklung einer eigenen wiederaufarbeitungstechnologie erfordern würde, nicht weiter verfolgt. Alle für die Zukunft geplanten HTR-Varianten sollen als Brennstoff niedrig angereichertes Uran (LEU = low-enriched uranium) mit einem Anreicherungsgrad von höchstens 13 % als Brennstoff, unter Verzicht auf eine Beimischung von Thorium, verwenden. Der THTR 300 ist somit ein Prototyp für eine bereits ausgestorbene Baulinie.


*) Die Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernkraftwerken (HSK) in der Schweiz - die dortige Genehmigungsbehörde - verlangt für den geplanten gasgekühlten Reaktor GHR aus Gründen der Nichtverbreitung von Atomwaffen einen Anreicherungsgrad von höchstens 20 % U 235


Jede der charakteristischen Eigenschaften des HTR bietet eine Reihe von betrieblichen sowie sicherheitstechnischen Vor- und Nachteilen gegenüber anderen Reaktorbauweisen.


Die Verwendung von Graphit statt Wasser als Moderator erzwingt eine weit weniger kompakte Bauweise, da Kohlenstoff' wegen seines höheren Atomgewichts weit weniger effizient moderiert als Wasserstoff. Dies führt dazu, daß die Leistungsdichte graphitmoderierter Reaktoren viel geringer ist als die wassermoderierter. Das niedrige Verhältnis von Leistungsdichte zu Wärmekapazität der Hochtemperaturreaktoren wird gern als besonders sicherheitserhöhend bezeichnet. Man sollte allerdings nicht vergessen, daß auch die sowjetischen RBMK-Reaktoren vom Tschernobyl-Typ diese Eigenschaft haben (Leistungsdichte ca. 4,2 MW/m3 ; zum Vergleich: THTR-300 ca. 6 MW/m3, AVR ca. 2,6 MW/m3); offenbar genügt sie nicht, um katastrophale Leistungsexkursionen zu verhindern. Aus physikalischen Gründen wächst vielmehr die bei einer unkontrollierten Leistungsexkursion freigesetzte Energie mit der Wärmekapazität, da mehr Energie benötigt wird, um den Reaktorkern so weit aufzuheizen, daß der negative Temperaturkoeffizient die Exkursion begrenzt.


Als sicherheitserhöhendes Merkmal der Hochtemperaturreaktoren wird auch die neutronenphysikalische Neutralität des Kühlmittels hervorgehoben. Wiederum ist der Gewinn an sicherheit nicht eindeutig: Während Verlust des Kühlmittels bei einern wasserreaktor auf jeden Fall die Kettenreaktion beendet, da das Kühlmittel gleichzeitig der Moderator ist, trifft dies bei Hochtemperaturreaktoren nicht zu.


Als weiterer sicherheitstechnischer Vorteil der HTR-Linie wird die hohe Temperaturbeständigkeit der Brennelemente und Tragestrukturen wegen der Verwendung der "keramischen" Materialien Graphit und Kohlestein erwähnt. Dies ist unbestreitbar ein Vorteil gegenüber Leichtwasserreaktoren, bei denen die größte Gefahr das Schmelzen des Cores ist, das bei Kühlmittelverlust allein auf Grund der Nachwärme eintritt. Allerdings ist dieser Vorteil nur wirksam, solange keine Temperaturen erreicht werden, bei denen auch die "keramischen" Materialien versagen und Radioaktivität, zunächst in den Primärkreislauf, freigesetzt wird (vergleiche hierzu die Kapitel über den Ausfall der Notkühlung sowie den Wassereinbruch).


Schließlich wird die Kugelhaufenform des Reaktor-Cores als Vorteil gerühmt. Sie erlaubt es, die Core-Zusammensetzung bei laufendem Reaktor zu verändern und zu optimieren und damit einen wesentlich höheren Abbrand zu erreichen. Diese zweifellos attraktive Idee bringt allerdings auch etwas unangenehme technische Probleme mit sich:

  1. ist es zumindest bei größeren Hochtemperaturreaktoren unumgänglich, Abschalt- und Regelstäbe in den Kugelhaufen hineinzudrücken, ohne daß ein vorbereiteter Kanal für sie vorhanden ist. Dies bewirkt Verdichtungen im Kugelhaufen und Bruch von Kugeln, was wieder zu Aktivitätsfreisetzungen in den Primärkreis führt. Dies ist näher ausgeführt im Kapitel "Abschaltsysteme".
  2. werden für das ständige Zugeben und Abziehen von Brennelementen Schleusensysteme benötigt, die sehr viele Male mit höchster Zuverlässigkeit arbeiten müssen, um eine Freisetzung des radioaktiven Kühlgases zu verhindern (auch im Norrnalbetrieb sind gewisse Abgaben durch Leckage unvermeidlich). Die Störfall-Liste des AVR enthält von 1977 bis 1987 21 Störungen der Beschickungsanlage; beim THTR kam es am 04.05.1986 zu einer Freisetzung von Primärgas-Aktivität aufgrund von Problemen mit der Beschickungsanlage. Diese Beispiele unterstreichen die Problematik des Kugel-Umwälzens. Interessanterweise ist für das schweizerische Projekt eines gasgekühlten Heizreaktors (GHR, ebenfalls ein Kugelhaufen-HTR) vorgesehen, aus radiologischen Gründen ganz auf die Umwälzung der Brennelemente zu verzichten.
  3. a

  4. Es wird noch ein weiteres Merkmal als ursächlich für die besondere inhärente Sicherheit des HTR-Konzepts hervOrgehoben: Die Tatsache, daß der Reaktor sich bei Temperatur- bzw. Leistungserhöhung aufgrund seines negativen Temperatur- und Leistungs-Koeffizienten "selbst abschaltet". Diese Eigenschaft ist nun keineswegs spezifisch für die HTR-Baulinie; sie teilt sie mit allen üblichen Reaktoren.

Die mit dem Bauprinzip verbundenen hohen Core-Temperaturen haben neben offensichtlichen betriebswirtschaftlichen Vorteilen (höherer thermischer Wirkungsgrad, Möglichkeit der Auskoppelung von Prozeßwärme) auch sicherheitstechnische Nachteile .. Einmal führen die hohen Temperaturen zu erhöhten Belastungen vieler Komponenten (z.B. der Dampferzeuger) und Strukturmaterialien. Vor allem aber ist es wegen der hohen Core-Temperaturen ni,cht möglich, wichtige Größen wie Temperatur und Neutronenfluß dort direkt zu messen. Diese Daten werden durch Rechnung aus Messungen außerhalb des Cores ermittelt; die Informationen über den Core-Zustand sind daher höchstens so zuverlässig wie die verwendeten Rechenmethoden.


Die Entwicklung der Hochtemperaturreaktoren war von umfangreichen theoretischen Berechnungen wie von Modellversuchen begleitet, deren Ergebnisse auch im Genehmigungsverfahren eine Rolle spielten. Natürlich erhebt sich die Frage nach der Zuverlässigkeit von Aussagen, die auf solche Untersuchungen gestützt sind. Dabei kam es teilweise zu eklatanten Fehleinschätzungen.


Ein besonders krasses Beispiel bietet die Abschätzung der Kugelbruchraten. Kugelbruch ist sicherheitsrelevant, da er zu einer Erhöhung der Primärgas-Aktivität und damit letztIich zu erhöhten Abgaben an die Umwelt führt. Im Sicherheitsgutachten Teil 6 der TÜV Arge KTW wird eine Bruchrate von 300 pro Jahr als "noch zulässig" angesehen.


Von der Erbauerfirma wurden Modellversuche durchgeführt, die im Normalbetrieb (unter Einspeisung des "Schmiergases" Ammoniak) nur das Zerdrücken von einer Kugel pro 2 Betriebsjahren erwarten ließen; bei einmaligem Einfahren aller Stäbe ohne Schmiergas in das heiße Core wurde eine Bruchrate von 30 Kugeln geschätzt. Dies führt den TÜV zu der Einschätzung, daß die noc zulässige Bruchrate von 300 Kugeln pro Jahr unterschritten wird. Tatsächlich zeigen die bisherigen Betriebserfahrungen mit dem realen THTR, daß diese Schätzungen um Größenordnungen zu optimistisch waren:


Bisher sind bereits sechs Bruchkannen gefüllt; das entspricht über 12000 zerbrochenen Kugeln. Man kann daraus nur den Schluß ziehen, daß die Extrapolation von den Versuchen an verkleinerten Modellen des THTR-Cores auf die wirkliche Anlage nicht berechtigt war.


Das Genehmigungsverfahren für den THTR 300 zeigt an vielen Stellen, daß die Gutachter vom TÜV wie auch die Genehmigungsbehörde Angaben der Erbauerfirma, die auf Berechnungen oder Modellversuchen beruhen, allzu unkritisch übernommen haben.


Bei der Suche nach eventuellen Sicherheitsdefiziten der Hochtemperaturreaktoren können verschiedene Beurteilungskriterien zugrundegelegt werden. Einerseits entstand im Laufe der kommerziellen Nutzung der Kernenergie in der Bundesrepublik ein Katalog von Kriterien (z.B. die BMI-Sicherheitskriterien für Kernkraftwerke oder die RSK-Leitlinien), die allerdings teilweise spezifisch auf Leichtwasserreaktoren zugeschnitten sind. Eine sinngemäße Übertragung bzw. Interpretation der BMI-Sicherheitskriterien für den THTR 300 wird in den sogenannten THTR 300 Planungsgrundsätzen vorgenommen. Andererseits werden im Rahmen des Genehmigungsverfahrens darüberhinausgehende (Z.B. an den RSK-Leitlinien orientierte) Anforderungen gestellt, die eine Anpassung an den fortschreitenden Stand von Wissenschaft und Technik darstellen. Inhalt der verschiedenen Kriterienkataloge ist insbesondere die Festlegung von Anforderungen an die Sicherheitseinrichtungen der Anlagen und die Definition von "abdeckenden" Störfällen, die sicher beherrscht werden müssen.


Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, spezifische Sicherheitsdefizite der jeweiligen Anlagen aufzuzeigen. Dabei wurden die obengenannten Kriterien zugrundegelegt. Unsere Analyse beschränkt sich auf wenige exemplarisch ausgewählte Punkte. So wünschenswert eine vollständigere Analyse wäre, sind wir doch der Meinung, daß auch schon die von uns aufgezeigten Sicherheitsmängel schwerwiegende Einwände gegen die beiden Anlagen, insbesondere den THTR 300, darstellen, zumal Gegenmaßnahmen teilweise nur in Form grundsätzlich verschiedener Konstruktionsprinzipien denkbar sind; an den bestehenden Anlagen sind sie kaum zu verwirklichen. Nach.folgend sind die Ergebnisse zu den von uns analysierten sicherheitseinrichtungen bzw. Störfällen kurz dargestellt.


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Der Hochtemperaturreaktor THTR 300

i) Abschaltsysteme

Zur Abschaltung der nuklearen Kettenreaktion stehen beim THTR 300 zwei Systeme mit verschiedenen AufgabensteIlungen zur verfügung, vergleiche BMI-Kriterium 5.3.



Nach dem gültigen Abschaltkonzept des THTR 300 bildet das Reflektorstabsystem das 1. Abschaltsystem (Schnellabschaltsystem), das Corestabsystem das 2. Abschaltsystem (Langzeitabschaltsystem) .


Das BMI-Kriterium 5.3 ist nicht erfüllt, da

  1. das 1. Abschaltsystem nicht in allen Betriebszuständen ausreichende Abschaltreaktivität besitzt,
  2. das 2. Abschaltsystem nicht für alle Störfälle eine ausreichende Abschaltreserve besitzt.

Die Methode, diese Tatsache dadurch zu kaschieren, daß Teile des einen Abschaltsystems von Fall zu Fall dem anderen zugerechnet werden, ist nicht akzeptabel und verletzt wiederum das BMI-Kriterium 5.3.


Eine grundsätzliche Schwäche ist die dem Corestabsystem inhärente mangelnde Zuverlässigkeit. Sie ergibt sich aus den mechanischen Belastungen durch Verdichtung und Umwälzen des Kugelhaufens, durch die thermischen Belastungen, insbesondere bei Störfällen, sowie durch die Verwundbarkeit bei Einwirkungen von außen.


In Anbetracht der Schwächen des Abschaltsystems würde es unserer Meinung nach einen Gewinn an Sicherheit bedeuten, wenn das früher vorgesehene Notabschaltsystem (Einspeisen eines Absorbergases, z. B. Bortrifluorid BF3) wieder eingeführt würde. Wir sind uns bewußt, daß dies aus betrieblicher Sicht nicht attraktiv wäre, aber wir diskutieren hier nur Sicherheitsfragen.


Die schließlich sogar von der Genehmigungsbehörde übernommene Behauptung, wegen der Toxizität des Absorbergases sei der Wegfall des Notabschaltsstems sicherheitserhöhend, ist nicht nachvollziehbar und wirkt im Zusammenhang mit einer solchen Anlage wie dem THTR allenfalls zynisch.


Hier wird die chemische Toxizität von BF3 gegen die Gefahr einer Freisetzung von Radioaktivität aufgerechnet. Von ersterer würde die Betriebsmannschaft betroffen, von letzterer ein großer Bevölkerungsteil. Wenn es aber möglich sein soll, die Radioaktivität sicher einzuschließen, dann sollte es doch umso eher möglich sein, das giftige Borfluorid einzuschließen. Die Aussage der Genehmigungsbehörde läßt die Interpretation zu, daß nicht einmal der Einschluß des Bortrifluorids gewährleistet werden kann.


ii) Störfall Wassereinbruch

Durch die Anordnung der Dampferzeuger im Spannbetonbehälter (SBB) kommt es bei einem Dampferzeuger-Rohrreißer zum Eindringen von Wasser (-dampf) in den Kugelhaufen.


Dies führt zu Korrosion an den Brennelementen (hauptsächlich durch die Wassergas-Reaktion


C + H20 -> H2 + CO


und einer Druckerhöhung im SBB durch Dampfbildung (abhängig von Temperatur und Strömungsverhältnissen).


Hinzu kommt eine Reaktivitätsänderung:

Mit anwachsender Wasserdichte im Core steigt die Reaktivität, geht durch ein Maximum und fällt schließlich unter den kritischen Wert. Im abfallenden Ast dieser Reaktivitätskurve entwickelt der Reaktor ein "Tschernobyl-Syndrom", das heißt, einen positiven Void-Koeffizienten, dessen Wert den des Tschernobyl-Reaktors um etwa einen Faktor 20 übertrifft.


Voraussetzung für einen derartigen Störfall ist das Eindringen einer relativ großen Wassermenge entsprechend einer Dichte > ca. 0,05 g/cm3 in das Core. Das Wasser kann dabei in Form von kleinen Tröpfchen (Nebel) vorliegen.


Daß Störfälle mit entsprechend großen Wassermengen im Sicherheitsbehälter nicht ausgeschlossen sind, zeigt der Wassereinbruch beim AVR vom Mai 1978, als 27 t Wasser entsprechend einer mittleren Dichte von etwa 0,08 g/cm3 eingedrungen sind, bevor der defekte Dampferzeuger abgeschiebert wurde.


Durch den genannten positiven void-Koeffizienten kommt es zu einer Leistungsexkursion, wenn das in den Kugelhaufen eingedrungene Wasser verdampft. Verdampfen und Leistungsanstieg verstärken sich im Sinn einer positiven Rückkoppelung gegenseitig ("Autokatalyse").


Mit einem vereinfachten mathematischen Modell - ähnlich dem von sowjetischen Wissenschaftlern zur Nachrechnung des Tschernobyl-Unfalls eingesetzten - haben wir versucht, diese Leistungsexkursion zu beschreiben. Die parametrischen Rechnungen ergaben Energiefreisetzungen von ähnlicher Größenordnung wie beim Unfall von Tschernobyl. Derartigen Belastungen wäre der Spannbetonbehälter des THTR nicht gewachsen.


Wegen des autokatalytischen Ablaufs und der Größe der zu erwartenden Energiefreisetzung drängt sich der Vergleich mit dem Bethe-Tait-Störfall des Schnellen Brutreaktors auf.


Ob einer dieser (und viele ähnliche denkbare) Störfälle entgegen unserer Ansicht als "hypothetisch" einzustufen sind, kann bestenfalls eine ins einzelne gehende Untersuchung klären. Aber auch im Falle, daß sie als "hypothetisch" einzustufen sind, wären in Anbetracht des großen Schadenspotentials risikomindernde Vorkehrungen zu fordern.


Verson: 4. Mai 2016
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Jochen Gruber