Der Versuch mit hochradioaktiven Strahlenquellen in der Asse war laut Atomaufsicht des Landes Niedersachsen für die Genehmigung von Gorleben unverzichtbar.[11] Diese Anforderung an ein Genehmigungsverfahren wurden auch von der RSK und SSK der Bundesregierung erhoben, um die Wirkung von radioaktiver Strahlung auf Salz beurteilen zu können. Der Versuch wurde von der GSF und dem BMBF vorbereitet. Er wurde von Organisationen aus Frankreich, Holland, Spanien, den USA und von der EU finanziell unterstützt.[12] In Hanford, der Atomwaffenschmiede der USA, wurden Glaskokillen mit hochradioaktivem Müll (High Active Waste: HAW) für die Durchführung des Versuchs bestellt.
Im Jahr 1989 berichtete der Spiegel, dass der Gorleben-relevante HAW-Versuch in der Asse 60 Mio. DM kosten solle. Ziel sei u.a. die Wirkung der Radiolyse und der Strahlenschäden im Steinsalz zu prüfen, die zur Auflösung der Salzkristallgitter von Natrium und Chlorid führen könnten und zu Rückreaktionen mit Temperaturen bis 5000 Grad Celsius.[13] Laut einem Bericht des Bundesrechnungshofes sollte die radiolytische Wirkung der Gammastrahlung und die thermische und radiolytische Freisetzung von Wasser und Gas im Steinsalz untersucht werden.
USA mit dem Salz am Ende
Aus niederländischen Laboren kam Ende der achtziger Jahre ebenfalls die Nachricht, dass sich Salz bei Strahlenbelastung in Chlorgas und Natrium zerlegen kann – ein Metall, das sehr heftig mit Wasser und Luft reagieren kann. Aus dem Waste Isolation Pilot Plant (WIPP) in New Mexico berichtet die Zeit [14], dass mitten im trockenen Salzstock unerwartet große Mengen an Wasser auftraten. Das hielt Prof. Kühn, der Mitglied einer International Peer Review Group für das WIPP war, für völlig unerheblich und vertrat die Auffassung, dass diese Salzlagerstätte in den USA nicht mit dem Salz in der Asse oder in Gorleben vergleichbar sei.
Der Spiegel zitierte 1989 den Geologieprofessor Roger Andersen von der Universität New Mexico, der nach den Erfahrungen im WIPP feststellte, dass die Endlagerung im Salz „out“ sei. Dort passiere „alles, was man eigentlich vermeiden will“. Prof. Klaus Kühn hielt dagegen und erklärte: „Die grundsätzliche Eignung des Lagermediums Salz ist erwiesen“.[15]
Die Transportgenehmigung für die Kokillen aus den USA verzögerte sich mittlerweile, weil die Kokillen auch Kernbrennstoffe enthielten. Anfang des Jahres 1992 wurde die Forschungspolitik des BMFT von dem Vorstandsvorsitzenden der Preußen Elektra und Aufsichtsratsvorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen (DWK), Hermann Krämer, kritisiert. Ein zentrales Argument waren dabei die Kosten. Im selben Jahr hatte der Bundesrechnungshof die alleinige Kostenträgerschaft des Bundes für die drei Großversuche in der Asse gerügt. In der Folge schlug BMFT dem BMU am 23.10.1992 vor, die drei Versuche weiterzuführen und eine Finanzierung über die Endlager-Vorausleistungsverordnung vorzusehen. Nach der Verordnung zu § 21b AtG wären die EVU damit kostenpflichtig heranzuziehen.
Dazu kam es jedoch nicht. Stattdessen wurden die Großversuche, darunter der HAW-Versuch, im Dezember 1992 abgebrochen. Der eigentliche Grund für den Abbruch bleibt jedoch unklar. Die Finanzierung war höchstwahrscheinlich nur ein Aspekt für diese Entscheidung. Referatsleiter Besenecker, vom niedersächsischen Umweltministerium (NMU) schreibt in einem Vermerk [16], dass er am 3.12.1992 von Prof. Kühn telefonisch die Mitteilung erhalten habe, dass der HAW-Versuch eingestellt wird. Der Sprechzettel für den Staatssekretär vom 10.11.1992 stellt noch fest:
„Im Rahmen eines im Mai 1992 eingerichteten Diskussionskreises BMFT/BMU – VDEW/EVU [17] brachte der BMU eindeutig zum Ausdruck, dass die drei Großversuche für notwendig erachtet werden.”
Weiter heißt es, dass die RSK diese Versuche „am 17.6.1992 ebenfalls für notwendig bewertet hat.“
Allein für den HAW-Versuch fielen trotz Abbruch des Versuchs mehr als 200 Mio. DM Kosten an. Weitere ca. 150 Mio. DM für die beiden anderen Versuche. Offizielle Begründung lautet, dass sich die zuständigen Ministerien nicht über die Restfinanzierung für die „Großversuche“ einigen konnten.
Angeblich aus dem gleichen Grund wird das Institut für Tieflagerung von Prof. Dr. Klaus Kühn 1995 aufgespalten und deutlich verkleinert.
Die Versuche werden ersatzweise mit Wärme-Simulatoren durchgeführt. Der zunächst für Gorleben unverzichtbare Radiolyseversuch wird in der Asse nicht durchgeführt. Auch an anderen Orten wird der Versuch angeblich nicht durchgeführt. Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter der GSF behauptet allerdings, entsprechende Versuche seien zusammen mit Russland erfolgt.[18] Andere leitende GSF-Mitarbeiter dementieren dies. [19] Der ehemalige Projektkoordinator für den HAW-Versuch schliesst es nicht definitiv aus. [20]
Radiolyse: „Explosive Rückreaktionen“
Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) der Bundesregierung hat sich in den Jahren 2003 und 2004 dreimal mit Strahlenschäden im Steinsalz und den Grenzwerten für explosionsartige Rückreaktionen befasst. Grundlage war eine Literaturstudie der GRS von Jörg Mönig. In dem RSK-Bericht heißt es:
„Explosionsartige Rückreaktionen stellten sich in Experimenten mit hohen Dosisleistungen von ca. 1 Mio. Gy/h erst ab einem Gehalt an kolloidalem Natrium von 7,5 mol% ein. Ein entsprechender Schwellenwert für geringe Dosisleistung ist bisher nicht ermittelt worden.“[21]
Der Bericht der Reaktorsicherheitskommission (RSK) zeigt, dass es hier noch erhebliche Lücken in der Erforschung dieser Phänomene gibt. Um die Bedingungen in einem Endlager für hochradioaktive Abfälle beurteilen zu können, reichen die bekannten Studien nicht aus. Das bestätigt auch der ehemalige Projektkoordinator für die HAW-Versuche in der Asse. [22] Dennoch kommt der Autor der RSK-Studie, ebenfalls ein ehemaliger Mitarbeiter von Prof. Klaus Kühn am Institut für Tieflagerung der GSF, und die RSK zu dem Schluss, dass die Eignung von Steinsalz als Endlagermedium „nicht in Frage“ stehe.
(1) Strahlenschadenbeurteilung der GRS, des Institut für Tieflagerung und der RSK nicht konservativ
Das holländische Labor ist das Solid State Physics Laboratory (Ionic Materials, Zernike Institute for Advanced Materials, University of Groningen):
["The prestigious journal Times Higher Education published a ranking of the world's top institutions in materials science. This ranking is based on citation scores (rather than on subjective assessment as used in their ranking of universities). The Zernike Institute for Advanced Materials takes the ninth place in this ranking, closely following MIT and ahead of such institutions as Princeton, Stanford, Cambridge and UCLA. On average, a paper published in the last ten years by Zernike researchers is cited over 20 times.", Quelle: Zernike Institute, 2011]
J.C. Groote, H.W. den Hartog, J. Seinen, A.V. Sugonyako, J.R.W. Weerkamp und Mitarbeiter aus diesem Institut haben u.a. im Physical Review B und im Journal of Physics: Condensed Matter (1995 – 2004) über Strahlenschäden in Steinsalz berichtet.
Radiation Damage in NaCl. I. Optical-absorption experiments on heavily irradiated samples, Physical Review B 50, 9781-9786 (1994)
Radiation Damage in NaCl II. The early stage of F-center aggregation
Physical Review B 50 (1994), 9787 – 9792 (1994)
Radiation Damage in NaCl III. Melting phenomena of sodium colloid
Physical Review B 50, 9793 – 9797 (1994)
Radiation Damage in NaCl IV. Raman scattering
Physical Review B 50, 9798 – 9802 (1994)
Anton V. Sugonyako, Mitglied dieser Arbeitsgruppe, hat im Volltext und frei zugänglich im Internet seine Dissertation publiziert:
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Since model development was a cooperation of V.I. Dubinko, A.A. Turkin, D.I. Vainshtein and H.W. den Hartog, I will henceforth refer to the model as the DTVH model.
My summary of Chapter II:
According to the commonly used Jain-Lidiard (J-L) model radiation can damage the NaCl crystal only up to a certain “saturation” level. The DTVH model is the J-L model augmented by mechanisms that allow the radiation to damage the crystal without limits. The J-L restrictions on radiation damage are removed because the efficiency of radiolytic decomposition of NaCl increases with decreasing dose rate. So, as a first step towards repository safety, one has to get a complete picture of how NaCl crystals can react under irradiation. This then is the reason for choosing irradiation doses that are 2 orders of magnitude above repository doses.
The experimentally observable latent heat of melting is used to calculate the atom fraction of colloidal Na in NaCl.
Fig. 2.6 Comparison of the model calculations of the dose dependence of the colloid volume fraction at K=1Grad/h, 100 C, for a range of traps and dislocations concentrations with experimental data, obtained
for doped NaCl samples. Source: A.V. Sugonyako, Nano-sized precipitated formations in irradiated NaCl.
Sugonyako shows in Figs. 4.2 and 4.3 that Na colloid fraction (at%) and Na volume fraction (vol%) are approximately equal. Therefore the y-axis in this Fig. 2.6 specifies the Na colloid fraction in at% as well as in vol%.
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Bewertung der Modelle
Strahlenschäden im Steinsalz können mit verschiedenen Modellen beschrieben werden:
Soppe-Modell: Die Gesellschaft für Anlagenbau- und Reaktorsicherheit (GRS), das Institut für Tieflagerung (IfT) und die Reaktorsicherheitskommission (RSK) verwenden ein modifiziertes J-L-Modell mit Namen Soppe-Modell. Dieses geht -wie das J-L-Modell- von einer Sättigung der Strahlenschädigung aus. (Anwendung des Soppe-Modells für eine Realistische Abschätzung der Strahlenschädigung von Steinsalz bei Einlagerung von HAW in Bohrlöchern)
Alle Modelle sind top-down Modelle, d.h. sie formulieren kristallphysikalische Vorgänge global in Gleichungen. Materialeigenschaften gehen dabei als prinzipiell frei wählbare Parameter ein. Man reproduziert experimentelle Ergebnisse, indem man diese Parameter anpaßt. Deshalb sind die Modelle grundsätzlich nur eine Form der Kompression der experimentellen Ergebnisse, und als solche gelten sie nur für bereits untersuchte Versuchsbedingungen. Sie sind also damit nie allgemeingültig.
Da wir im Fall der Strahlenschädigung des Endlagersalzes die zukünftigen Umweltbedingungen prinzipiell nie kennen werden, müssen wir das konservativste unter den Modellen verwenden, solange es keine Erkenntnisse gibt, die dieses mit “angemessener Sicherheit” ausschließen.
Die deutsche Diskussion über die Sicherheit von Salz als Endlagergestein ist also letztlich eine Diskussion darüber, was “angemessene Sicherheit” bedeutet.
Angesichts
ist man meiner Meinung nach zur Zeit nicht in der Lage, das konservativere DTVH-Modell abzulehnen. Radioaktive Strahlen können das Steinsalz so schwerwiegend schädigen, daß man das Problem nicht ignorieren kann, sondern die Forschung auf diesem Gebiet als nicht abgeschlossen bezeichnen muß.
Die Forschung muß unter IT-gestützter Beteiligung der Öffentlichkeit geschehen, damit das durch unser Förderungssystem und politische Abhängigkeit voreingenommene Wissenschaftsestablishment kontrolliert werden kann. Formen und Chancen dieser Kontrolle werden hier diskutiert:
Jochen,
I love your last sentence!
Peter
Intransparenz des Abbruchs des HAW-Versuchs
Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) mbH schreibt am 19.12.2000 unter der Überschrift “Forschung für sichere Endlager in Europa”
In T. Brasser, J. Droste, I. Müller-Lyda, J. Neles, M. Sailer, G. Schmidt, M. Steinhoff, “Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland” gibt Anhang
T. Brasser, J. Droste, “Endlagerung wärmeentwickelnder radioaktiver Abfälle in Deutschland – Anhang: Untertagelabore“, GRS-Bericht GRS-247/20, 2008, Einzelheiten zum Großversuch und dessen Abbruch:
Kapitel 3.4 “Arbeiten zur Direkten Endlagerung von bestrahlten Brennelementen”
Nach meiner Erfahrung an deutschen Universitäten und Großforschungseinrichtungen haben ähnlich wichtige und teure Projekte wie dieser Großversuch mit hochradioaktiven Strahlenquellen in der Asse immer Jahresberichte und einen Abschlußbericht vorgelegt. Ich konnte solche Dokumentation des Asse-Großversuchs nicht finden, weder mit Google noch ausgehend von der Website des Office of Scientific and Technical Information (OSTI), U.S. Department of Energy. Nach meiner Einschätzung muß daher ein Interesse an Intransparenz vorgelegen haben.
Joachim Gruber, Physiker, 1977-1978 wissenschaftlicher Koordinator, PSE (Projekt Sicherheitsstudien Entsorgung, eine von der Bundesregierung veranlaßte Sicherheitsanalyse von Gorleben),