acamedia.info --> Alexander's Feast --> Max Reinhardt - Sein Leben
  Titel-Seite, Festungsverlag, 1964
Auszüge (Seiten 72-75, 83-91, 103-110) aus:
Max Reinhardt - Sein Leben.
Biographie unter Zugrundelegung seiner Notizen für eine Selbstbiographie, seiner Briefe, Reden und persönlichen Erinnerungen.

von Augusta C. Adler, die über "zwanzig Jahre ideale und idealistische Privatsekretärin" von Max Reinhardt war (Helene Thimig, Salzburg, den 24. August 1964).

Was die Zukunft anbelangt, glaube ich gewiß, daß
die Sonne wieder aufgeben, die Glocken wieder
läuten, die Menschen wieder zusammen kommen,
die Erzbistümler wieder Grüß Gott sagen werden,
daß auch der Teufel eines schönen Tages wieder
heimgehen wird, um seine eigene Großmutter zu
fragen, wer ihn gemacht hat und daß endlich statt
Blut wieder Wein fließen wird.
Aber: 's wird halt anders sein und mir wer'n nimmer sein.

Santa Monica, 24. März 1942 M. R.

ANKAUF VON LEOPOLDSKRON

"Helene Thimig, Victoriastraße 11, Berlin

16. April 1918
Leopoldvertrag unterzeichnet Gott schenke uns für dieses köstliche Gehäuse die glücklichsten Inhalte Bin froh gut dankbar erkenne wie wundervoll notwendig der Feiertag für den Menschen gespenstische Hindernisse einschrumpfen den Glauben an Erfüllung des Naturnotwendigen wachsen läßt Ich liebe Dich"

Dieses Telegramm barg den Keim für alles Künftige. Mit dem Federzug der Unterschrift des Kaufvertrages von Leopoldskron wurden zwanzig Jahre im Leben Reinhardts schicksalhaft bestimmt.

Max Reinhardt hatte seit Jahren nach einem Haus gesucht, das seiner Vorliebe für das Barock entgegenkam. Er konnte, bis an sein Lebensende, niemals widerstehen, wenigstens mit dem Gedanken zu spielen, irgendein altes Schloß, ein altes Bauernhaus, das zum Verkauf ausgeschrieben war, zu erwerben, selbst lange nachdem er schon in Leopoldskron fest verankert war.

Eine solche Möglichkeit war lockend, wie eine neue Inszenierung. In Gedanken richtete er dann dieses Haus bis ins letzte ein. Wohin er auch kam: die Suche nach einem derartigen Wohnsitz begann sofort - Kauf oder Miete - und es war oft schwer, ihn davon abzubringen, sich in ein kostspieliges Abenteuer dieser Art zu verstricken. Freunde und Mitarbeiter wurden auf die Suche geschickt, Pläne mußten beschafft, eigensinnige Besitzer solcher Häuser überredet werden, ihr Haus zum mindesten zu zeigen.

Bei Leopoldskron spielte die Liebe zu Salzburg, dem Salzburg seiner Jugend, noch eine besondere Rolle. Er war verliebt in die Stadt, verliebt in die Landschaft, verliebt in das Barock des Schlosses. Der Gedanke, den Berliner Sorgen entfliehen zu können, eine Ruhe zu genießen, die wie eine Fata Morgana ein Leben lang vor ihm her schwebte, ein Haus zu schaffen, dessen Vollkommenheit er träumte, und wenigstens einen Teil des Jahres so zu leben, wie es seinem innersten Wesen entsprach - dieser Gedanke war zwingend.

Die Einnahmen seiner Arbeitsjahre hat er in die Ausgestaltung dieses Hauses investiert. Wer wollte die Bilanz ziehen zwischen der schöpferischen Freude, die er dabei Jahre hindurch genoß und der Sorgenlast, in die sich alles in den Jahren wirtschaftlichen und kulturellen Niederganges wandelte, bis zuletzt nur der unerfüllte Wunsch blieb, dem Moloch, zu dem dieser Besitz geworden war, zu entfliehen, sich der Schuldenlast durch Verkauf zu entledigen. Ungerechtfertigte Steuern, mit denen sein Berliner Theaterbesitz nach 1933 belastet worden war, um ihn der Regierung in die Hände zu spielen, hatten zu der Katastrophe beigetragen und im Zusammenhang damit auch seinen österreichischen Besitz bedroht. Schließlich beschlagnahmte die Gestapo im Juni 1938 Schloß Leopoldskron. Max Reinhardt nahm die Nachricht dieses Verlustes mit stoischer Ruhe auf. In einem Satz faßte er zusammen, was er dazu zu sagen hatte: "Ich habe es gehabt. "

Der Raub Leopoldskrons wurde nach der Einnahme von Salzburg durch die Amerikaner rückgängig gemacht. Max Reinhardt hat es nicht mehr erlebt.

Max Reinhardt mit 'Tabak'
Max Reinhardt mit 'Tabak'

Max Reinhardt in der Bibliothek
1937: Max Reinhardts letzter Sommer in Leopoldskron (vor dem Kamin der Bibliothek)

Max Reinhardt im Marmorsaal von Leopoldskron
Max Reinhardt im Marmorsaal von Leopoldskron

Gartentheater im Park von Schloss Leopoldskron
Gartentheater im Park von Schloss Leopoldskron

Blick vom Rosenparterre ueber den See zum Untersberg (Schloss Leopoldskron)
Blick vom Rosenparterre über den See zum Untersberg (Schloss Leopoldskron)

Max Reinhardts Arbeitszimmer neben der Bibliothek, Schloss Leopoldskron
Max Reinhardts Arbeitszimmer neben der Bibliothek, Schloss Leopoldskron

Bibliothek, Schloss Leopoldskron
Bibliothek, Schloss Leopoldskron

Konferenzzimmer, Schloss Leopoldskron
Konferenzzimmer, Schloss Leopoldskron

Venezianisches Zimmer, Schloss Leopoldskron
Venezianisches Zimmer, Schloss Leopoldskron

Marmorsaal, Schloss Leopoldskron
Marmorsaal, Schloss Leopoldskron

Max Reinhardt mit Lillian Gish, Schloss Leopoldskron, 1928
Bibliothek, Schloss Leopoldskron

Putte am Gelaender der Bibliothek, Schloss Leopoldskron
Putte am Geländer der Bibliothek, Schloss Leopoldskron

Antike Skulptur, von Max Reinhardt in Italien erworben und zum Mittelstueck der Bibliothek gemacht, Schloss Leopoldskron
Antike Skulptur, von Max Reinhardt in Italien erworben und zum Mittelstück der Bibliothek gemacht, Schloss Leopoldskron

Schloss Leopoldskron
Schloss Leopoldskron

Barock-Statuen im Park von Leopoldskron, vor der Aufstellung im Gartentheater
Barock-Statuen im Park von Leopoldskron, vor der Aufstellung im Gartentheater

Edmund Reinhardts Garten im Meierhof von Leopoldskron. DOrt wurde seine Asche, seinem Wunsche gemaess, verstreut
Edmund Reinhardts Garten im Meierhof von Leopoldskron. DOrt wurde seine Asche, seinem Wunsche gemaess, verstreut.

JEDERMANN

Mitte April 1920 wurde von der Salzburger Festspielgemeinde feierlich beschlossen, trotz aller Ernährungsschwierigkeiten, das Sommerspiel vorzubereiten. Man hatte sich entschlossen, auf das Schauspiel in einer Kirche zu verzichten und Reinhardts Vorschlag zu folgen, den JEDERMANN im Freien, auf dem Domplatz aufzuführen. Fürsterzbischof Dr. Ignaz Rieder begrüßte dieses Vorhaben. Er schrieb am 21. Juli 1920 an Max Reinhardt:
"Für das freundliche Schreiben do. 16. Juli ergebenst dankend, kann ich nur wiederholen, daß ich mich vom Herzen freue, wenn dieses tielergreifende Spiel zur glücklichen Aufführung kommt; es wird einen mächtigen reinigenden Eindruck machen. Für alle Arbeiten, die Sie, hochgeehrter Herr, im Dienste idealer Zwecke machen, bestens dankend, bin ich

Ihr ganz ergebener

Dr. Ignaz Rieder Fürsterzbiscbof von Salzburg"

Als es dann im August tatsächlich dazu kam, schien sich zunächst alles gegen dieses Unterfangen zu verschwören: Unruhen in der Stadt und die Unsicherheit des Wetters, mit der man freilich in dem regenreichen Salzburg in bösen und in guten Zeiten immer rechnen mußte. Max Reinhardt hat - zwanzig Jahre später - in Amerika in einem Brief geschrieben:

"... Die Salzburger Festpiele habe ich gegründet, als eine Hungerrevolte in der Stadt wütete und als man den Wein aus den Kellern des Hotel Europe auf die Bahnhofstraße laufen ließ. - Aber am Nachmittag brach die Sonne durch und die Leute saßen stramm auf dem Domplatz. Das ist freilich vorüber, aber es hat immerhin achtzehn Jahre gedauert und die große Welt ist in die kleine Stadt gepilgert."
Alles, was in späteren Jahren so selbstverständlich schien, mußte in diesem ersten Sommer geschaffen und erkämpft werden. Die Bühne auf dem Domplatz, die Tribünen für die Zuschauer, der Raum für Proben - in der Aula der alten Universität -, die Verteilung der Schauspieler-Garderoben in die Häuser im Dombezirk, die Jedermannrufe von den Türmen der Stadt. Reinhardt lag, begreiflicherweise, ungemein viel an dem Läuten der Kirchenglocken in entscheidenden Augenblicken der Aufführung. Es gab keinen Präzedenzfall dafür und es schien hoffnungslos. Schließlich gelang es mir aber doch, es in seinem Namen bei den geistlichen Behörden durchzusetzen, und ich werde seinen Blick zu mir herüber nie vergessen, als bei der Premiere des JEDERMANN die Glocken zum ersten Mal zu läuten begannen. Zum ersten Mal trat der Spielansager vor und über die Stille der Menschen auf dem weiten Platz kam der Auftakt des Spieles vom Sterben des reichen Mannes -
zum ersten Mal die Stimme des Herrn von der Höhe des Domes, in seiner Zwiesprache mit dem Tod -
zum ersten Mal der Auftritt Moissis aus der Reihe der Zuschauer, wo er in dunklem Mantel gesessen hatte -
zum ersten Mal der Arme Nachbar; - Schuldknechts Weib, die Senders, mit zwei Salzburger Kindern -
zum ersten Mal die vergnügten Fackelbuben, die in vielen Proben in der Aula vom Hilfsregisseur Metzl abgerichtet worden waren - die Buhlschaft der jungen Dagny Servaes - das Auftreten der Tisch gesellschaft aus den Domarkaden, ihr marionettenhafter Tanz - die lange Tafel und zum ersten Mal Moissis Erschauern vor der Un geheuerlichkeit des Todes-
zum ersten Mal Krauss als Tod und dann als Teufel - Helene Thimig, die später den Glauben spielte, damals als Gute Werke, Dieterle, der Gute Gesell, Frida Richard als Jedermanns Mutter - und dann der dunkle Leichenzug im Schatten des Domes, während Jedermanns Seele sich zum Himmel aufschwingt.

SALZBURGER SCHLÖSSER

Bei einer Jause unter den hohen Bäumen kam Reinhardt mit einem alten Bauern ins Gespräch und der Kutscher stimmte in dessen Jammer über die schweren Zeitläufte ein. über der Salzburger Ebene stiegen der Untersberg, der Hohe Göll und das feingestreckte Tennengebirge in den Abendhimmel. Dieses Schloß Ursprung, der Ausblick über das gesegnete Land, die Stimmung dieses Spätherbstabends haben Reinhardt ebenfalls sein Leben hindurch begleitet. Es kam nicht zu dem Kauf, aber Schloß Ursprung blieb für ihn ein Begriff, an dem er im Lauf der Jahre immer wieder vieles maß.

Ein anderes Schloß noch hat Reinhardts Phantasie jahrelang beschäftigt: Kleßheim. Der unvollendete Prachtbau Fischer von Erlachs hatte etwas von einem verwunschenen Schloß. Eine Mauer umgab den ganzen Besitz; dunkel standen Baumgruppen in den moosigen Wiesen und im alten Fasangarten. Ludwig Viktor, ein Bruder des Kaisers Franz Josef, war dort den größten Teil seines Lebens in einer Art Exil gewesen, wenn er auch offiziell immer wieder an verschiedenen Ereignissen in Salzburg teilnahm. So erinnerte sich Max Reinhardt immer daran, daß Schauspieler bei Benefizvorstellungen goldene Dukaten vom Erzherzog erhielten. Die Einrichtung des Schlosses war eine Orgie in Blau-Weiß. An den Wänden der unwöhnlichen Zimmer hingen zahllose Stiche und Fotografien in Tannenholzrahmen. Am wertvollsten war das - ebenfalls blauweiße - Porzellan verschiedenster alter Marken. Das Ganze ein sonderbares Gemisch von Echtem und Geschmacksverirrungen, die für das Ende des 19. Jahrhunderts und besonders für habsburgische Schlösser dieser Epoche so charakteristisch sind. Nun sollte dieser Besitz aufgelöst werden. In einem der Nebengebäude residierte der alte Baron Gautsch, in dessen Händen die Verwaltung des Schlosses lag. Auch er eines der zahlreichen Originale, mit denen gerade Salzburg so reich gesegnet war. Reinhardt, der damals nach Kleßheim fuhr, um alles zu besichtigen, interessierte diese altösterreichische Type nicht weniger, als das E.T.A. Hoffmann-Milleu, in dem sie wie eine unförmige Qualle herumschwamm. Er wurde niemals müde, Menschen zu beobachten, und wenn er seiner Sammlung eine neue Species hinzufügen konnte, war der Tag für ihn nicht verloren. Sein brennendes Interesse an Menschen war von Güte und Humor durchsetzt. Sein Gedächtnis für Physlognomien war unfehlbar. Er konnte sogar nach vielen Jahren noch rekonstruieren, wo er den Betreffenden gesehen hatte. Reinhardt erwarb damals in Kleßheim keine Antiquitäten. Hingegen engagierte er im Lauf der nächsten Jahre einige der erzherzoglichen Angestellten für Leopoldskron. Unter ihnen war Franz, einstiger Kammerdiener und Vorleser Ludwig Viktors, vielleicht die interessanteste Erscheinung. Die Rolle, die er in Reinhardts Diensten spielte, war immer etwas chargiert. Auch er eine sonderbare Blüte in Reinhardts Menschensammlung. Sein Tod in Venedig war ein tragisches Ende dieses Kammerdieners par excellence. Was Reinhardt damals noch ganz besonders erschütterte, war das Sterben eines Menschen in dieser strahlenden Sonne, dieser unfaßlich grausame Kontrast.

Irn Lauf der Jahre sah Max Reinhardt Schloß Kleßheim immer wieder an, denn der Gedanke, es in das Festspiel-Zentrum zu verwandeln oder Aufführungen dort zu veranstalten, tauchte stets aufs neue auf. Erst dreizehn Jahre später, am 11. August 1932, sollte sich dieser Traum, die Schönheit Kleßheims in eine Inszenierung zu verweben, verwirklichen, in einer der reizvollsten SOMMERNACHTSTRAUM-Aufführungen, die er je inszeniert hat. Die Zuschauer wanderten von Schauplatz zu Schauplatz, Wiesen, Wald und Schloß spielten mit. Der große Prunksaal war der Rahmen für den letzten Akt und ein unbeschreiblicher Zauber lag über dem Raum, als die letzten Worte Oberons in der Dämmerung verklangen. Schöner und würdiger hat sich Fischer von Erlachs Bau nie erfüllt als an diesem Abend.

Zu den Festspiel-Projekten in diesem Herbst 1919 gehörte auch der Plan, eine der Wiesenmulden auf dem Mönchsberg für den Bau eines Theaters zu benützen. Die amphitheatralische Form war gegeben und damit die Hoffnung, Baukosten zu verringern. Der Berg mit seinen sanften Wiesen, der Ausblick auf Stadt, Ebene und Berge, die herrlichen alten Bäume - alles schien dafür geschaffen, den Mönchsberg in einen Festspielberg zu verwandeln. "Es is' a freudigs Umanandschaun -" hieß es in einem alten Buch (über die Aussicht vom Mönchstein). "Begehungen" fanden statt, mit viel Kopfschütteln einschlägiger Behörden, Reden und "Anberaumen" von Sitzungen - manches schien auch Max Reinhardt, der den Mönchsberg liebte, einleuchtend, aber schließlich mußte, aus vielerlei Gründen, doch von diesem Projekt abgesehen werden.

INSZENIERUNG LEOPOLDSKRON

Der Abschied von Salzburg fiel Max Reinhardt immer schwer. Er beneidete jeden, der nach dem Sommer noch dort bleiben konnte. Das Ausgestalten von Leopoldskron war eine Inszenierung, die nicht wie bei einem Stück in einem Regiebuch zusammengefaßt werden konnte. Achtzehn Jahre lang hat er an dieser Inszenierung gearbeitet. Sie wuchs wie eine Pflanze und trieb bis zuletzt immer neue Blüten. So glichen die Weisungen, die er vor jeder Abreise zurückließ, die Briefe, die er dann noch schrieb, Regiebemerkungen. Sie waren bis ins letzte durchdacht. Meist in der Nacht vor der Abreise geschrieben. Diese Nacht zog sich fast immer bis in die frühen Morgenstunden. Es war die letzte Möglichkeit, längst Geplantes noch festzulegen, in konzentrierter Form Dinge zu besprechen, die, bis dahin hinausgeschoben, der Erledigung harrten.

Reinhardt saß dann - inmitten von Reisetaschen und Koffern - in seinem damaligen Arbeitszimmer, bei seinem großen Schreibtisch, auf dem sich Bücher, Manuskripte und Mappen türmten. Ihm gegenüber der wundervolle alte Sakristeischrank, der aus Firmians Zeiten stammte. In der Zimmerecke einer der kostbaren farbigen barocken Kachelöfen, die zum besonderen Schmuck der großen Zimmer von Leopoldskron gehörten. Launische Prunkstücke, von Wind und Wetter abhängig: föhnige Luft oder Sturm drückte den Rauch durch die weiten Kamine zurück und dieser bläuliche Dunst, der Geruch der ungeheuren Holzscheite (die Öfen mußten von außen geheizt werden) ist mit diesen frühen Zeiten, in denen das Schloß noch keine Zentralheizung hatte, untrennbar verwoben. Reinhardts Weisungen für die kommenden Monate hatten eine große Spannweite.

Sie umfaßten das Schloß, die Handwerker, die darin arbeiteten, den Garten, vor allem aber auch die uralten Orangen- und Zitronenbäume, die aus der Orangerie des Schlosses Schönbrunn stammten. Schönbrunn unterstand nach der Revolution von 1918 mit seinen Gärten dem Ministerium. Reinhardt hatte durch einen Zufall erfahren, daß diese Bäume (manche waren über hundert Jahre alt) verkauft werden müßten, da es dem Staat in diesen Zeiten der Nachkriegszeit unmöglidi sei, das Heizmaterial aufzutreiben, um sie in strengen Wintern vor Kälte zu schützen. Es war eine einmalige Gelegenheit, solche wertvolle, gepflegte Bäume zu erwerben, und Reinhardt nahm sie unverzüglich wahr. In späteren Jahren wäre es schwer gewesen, sich die Terrasse zum See hin ohne diese duftenden Bäume in ihren großen Holzkübeln vorzustellen. Der Transport von Wien nach Salzburg war nicht einfach. Ein Schönbrunner Gärtner fuhr auf dem Loriwagen mit und instruierte dann den Gärtner in Leopoldskron in allem, was die Pflege dieser Bäume anlangte. Die Sorge um die Orangen- und Zitronenbäume kehrte in allen Reinhardtschen Briefen im Laufe der Jahre immer wieder: das überwintern in den Parterreräumen des Schlosses, das Putzen der Blätter, das Regulieren der Temperatur - mitten in Probenarbeit, Direktionssorgen, auf Tourneen: allgegenwärtig, gleichsam im Terzenschritt, begleitete die Welt von Leopoldskron, dieses kleine Reich seiner Phantasie und der Erfüllung so viel heißer Träume, sein übriges großes Leben.

In diese ersten Zeiten in Salzburg fiel auch die Suche nach Zwergeln. Diese grotesken barocken Sandsteinfiguren standen ursprünglich im Zwergelgarten von Schloß Mirabell. Eine Erzherzogin, die Angst hatte, sich während ihrer Schwangerschaft zu "verschauen", veranlaßte ihre Entfernung. So wurden diese Figuren in alle Winde verstreut und gingen vielfach in Privatbesitz über. Es war keine leichte Aufgabe, sie wieder ausfindig zu machen und dann die Besitzer zu bewegen, sich davon zu trennen. Meistens waren es selbst schrullenhafte ältere Menschen, die sich in die verschrobenen Figuren verliebt hatten, mit denen sie ein geheimes Band zu verknüpfen schien. Im Park von Leopoldskron entstand eine "Zwergelwiese", auf der die lang getrennten phantastischen Gestalten sich nun wieder zusammenfanden. Manche hatten Lanzen, andere alte Laternen und Reinhardt ruhte nicht, ehe ihnen alle diese Attribute (die von den Besitzern oft gering geachtet wurden) wiedergegeben worden waren. Da standen sie nun im Schatten der Thujen, besonders geheimnisvoll in feuchtnebligen Mondscheinnächten, als Teil eines Reinhardtschen Sommernaditstraumes.

Die Ausgestaltung des Parkes war in diesen ersten Jahren ebenfalls eine der Hauptsorgen Max Reinhardts. Eine Sorge, der er sich mit viel Freude und leidenschaftlicher Ungeduld hingab. Versumpftes, verwildertes Terrain umgab damals das Schloß. Zunächst mußte eine Allee geschaffen werden, die zu dem Teich führte, in dem im nächsten Jahr - als Point de Vue - eine große barocke Herkules-Statue aufgestellt wurde. Bäume und Sträucher mußten gepflanzt werden und innerhalb der folgenden Jahre wurde die Konglomeratmauer gebaut, die den ganzen Besitz umgab und heute ebenfalls nicht mehr wegzudenken wäre. In dem Obergärtner Köpl fand Reinhardt einen treuen, überaus fähigen und verständnisvollen Mitarbeiter, der alle seine Wünsche zu erfüllen trachtete. Nur eines vermochte er nicht: das Wachstum jung-gepflanzter Bäume zu beschleunigen! Es wurde zu einer großen Geduldprobe für Reinhardt, dem das endgültige Bild des Geplanten vorschwebte.

Nicht allein die Erfüllung eines Wunsches war bei Reinhardt ausschlaggebend, sondern auch die Geschwindigkeit, mit der dies geschah. Ob es sich um die Erlaubnis von Behörden handelte, irgendeinen sonst unzugänglichen Raum, eine Straße zu benützen, die abgesperrt werden mußte, eine bestimmte Antiquität zu erwerben, ein Konzert in Leopoldskron in letzter Stunde zustande zu bringen, oder - an einem Weihnachtsabend - Lämmer für seine damals noch kleinen Söhne zu kaufen und nach Leopoldskron zu bringen ... Dieser Gedanke kam ihm spät am Nachmittag im Cafe Tomaselli, wo jede Expedition in Salzburg endete. Sein Vertrauen, daß es an diesem Weihnachtsabend noch gelingen müsse, war unwiderstehlich. Und es gelang: der "Petererhof", dem Petersstift gehörig, lag etwas außerhalb der Stadt. Der "Moar" war überrascht, als so spät am Nachmittag ein Einspänner über Schnee und vereiste Straßen durch die Winterdämmerung geholpert kam und bei ihm vorfuhr. Kopfschüttelnd ging er aber trotzdem in den warmen Stall und verkaufte zwei seiner Lämmer. Diese unruhige Last wurde unter dem Spritzleder des halboffenen Wagens verstaut und nach Leopoldskron verfrachtet. Reinhardt freute sich, fand es aber vollkommen selbstverständlich, daß das scheinbar Unmögliche in dieser kurzen Zeit gelungen war - und die Kinder bekamen ihre Lämmer ...

Reinhardt liebte Tiere. Er wurde nicht müde, sie zu beobachten, mit ihnen zu spielen. Eine besondere Freude waren für ihn exotische Vögel, die in späteren Jahren einen abgegrenzten Teil des Parkes bevölkerten. Da waren in einem barocken Pavillon drei Pelikane, über deren gravitätischen Ernst er immer wieder lachen konnte. Befrackte Herren einer Varietenummer, in einem langsamen Pas de Trois, vollkommen aufeinander abgestimmt. Kraniche und Kronenreiher führten ein bewegteres Leben. Sie tanzten! Reinhardt konnte einen von ihnen, der besonders an ihm hing, durch Armschwenken und Zurufen zu einer Leidenschaft der Bewegungen steigern, die an afrikanische Tänzer erinnerte. Und dann die Flamingos- eine rosige Wolke, zartgetönt, feingliedrig, immer in Gruppen, zurückhaltend und von einer eigenartigen Schönheit. Reinhardt war so sehr um sie besorgt, daß er sich einmal aus Berlin, mitten aus der angestrengtesten Probenarbeit heraus, telegrafisch einen ausführlichen Brief über die Flamingos erbat. Ein überaus herzliches Danktelegramm quittierte dann diesen Bericht, der ihn beruhigt und erfreut hatte.

Der Herkulesteich gehörte den weißen und den schwarzen Schwänen, während Mandarinenten und andere kleinere Enten auf sumpfigen Kanälen schwammen. In Volieren wurden Wellensittiche gezüchtet. Sie teilten ihre Käfige mit Reisvögeln, chinesischen Nachtigallen und vielen kleinen bunten Vögeln. Raimund von Hofmannsthal hatte von einer Weltreise zwei Affen mitgebracht und sie Reinhardt für seinen Tiergarten geschenkt. Sie bewohnten ein Glashaus, wo Reinhardt sie oft besuchte und fütterte.

Ein Morgenspaziergang durch den Park, zu den Tieren, bis zur barocken Nepomukstatue am äußersten Ende seines Besitzes, war die einzige Erholung, die sich Reinhardt während der Festspiele gönnte. Aber nur selten vermochte er mit Helene Thimig diese kurze Stunde ungestört zu genießen: Ferngespräche, Telegramme, dringende Anfragen zwangen ihn nur allzuoft, halb laufend zum Schloß zurückzukehren. Von diesem Augenblick an war er dann hoffnungslos an den neuen Tag verloren, im Netz der Festspiele eingefangen. Doch der Garten klang nach, das Haus klang nach. In späteren Jahren hatte er sich allerdings noch eine Zuflucht geschaffen: das Sonnenbad auf dem Dach des Schlosses. Ein Lift war eingebaut worden, der ihn aus seiner Wohnung hinauftrug. Da die Arbeitsleistung, die ihm während der Festspiele auferlegt war, alljährlich immer größere Dimensionen annahm, konnte sie nur noch in angestrengter Nachtarbeit bewältigt werden. So gönnte sich Reinhardt, wenn Zeit für einen Spaziergang fehlte, dann wenigstens eine kurze Atempause im Sonnenbad, wo er frühstücken, lesen und - wieder arbeiten konnte.

Leopoldskron war für ihn wie ein Instrument, aus dem er die vielfältigsten Tonschwingungen hervorzaubern konnte. Die großen festlichen Abende rauschten vorbei, bis ins letzte wie Schauspiele inszeniert und doch Improvisationen, well Menschen darin agierten, deren Dialog sich nicht auf geschriebene Rollen stützte. Wie in der Commedia dell'Arte spielte jeder seinen Part, und Max Reinhardt, der einzigartige Menschenkenner, wußte und erfühlte, was jeder einzelne Vertreter einer bestimmten Menschengattung zu sagen hatte, und wie er es ausdrücken würde. Er schaute in dieses Kaleidoskop, freute sich daran und lauschte, unersättlich in seinem Trieb, die menschliche Seele zu ergründen, immer tiefer in sie einzudringen.

Ein Gedicht Beer-Hofmann's, in ein Fremdenbuch geschrieben, das er 1923 Max Reinhardt schenkte, klingt einer Fanfare gleich in die Zukunft, die damals vor ihm lag:

LEOPOLDSKRON

Geschwundener Geschlechter stolze Wiege -
Der Dich erbaut, war Tausenden Dynast,
Die in Dir wurden, wuchsen, westen
Fern, fremd war ihnen Menschenmüh'- und Last.


Hoch schwang ihr Weg sich!
Drunten tief die Menge -
Sie selbst erlesen, irdisch, auserwählt
Zu Prunk und Festen -
allem frohen Glänzen
Vom ersten Blick des Kindes an, vermählt!


Und traf sie Leid - ward ihnen Leid nicht fruchtbar,
Es drang in sie - in ihnen blieb's bezirkt;
Und froher Sinn, gab niemals Andern Frohheit,
Und all' ihr Werk, - für sie nur war's gewirkt.


- Du Haus, vergessen lang, und lang in Öde - -
Ein neuer Herr geht nun durch Deine Räume -
Und wird er froh - wird froh um's Herz es andern -
Und träumt er - wird es Tausenden, Geträume! -


Denn abendlich, nach dumpfen Tagesmühen,
Hebt, meisternd, Prospero den Zauberstab,
Wort, das sonst körperlos ums Ohr gegeistert,
Bannt er in Fleisch und Blut - und von ihm ab,
weht starker Wille allen Staub und Moder
Gibt ihm die eingeborene Kraft zurück -
Haus -! Schenk dem neuen Herrn Mut und Frieden -
Glück braucht er - Tausenden zu schenken, Glück!


Leopoldskron, 28. Juli 1923 Richard Beer-Hofmann

'MIRAKEL'-VORBEREITUNGEN
'DER EINGEBILDETE KRANKE'

Das Jahr 1923 war nicht nur durch das Wiederaufleben von Reinhardts Tätigkeit in Wien bedeutungsvoll. Der Plan eines Gastspieles in Amerika reichte weit zurück. Verhandlungen waren immer wieder angeknüpft worden und an den verschiedensten Hindernissen immer wieder gescheitert. 1923 brachte endlich die Verwirklichung und die Unterzeichnung eines Vertrages mit Morris Gest. Rudolf Kommer, Schriftsteller, Agent, Journalist, und, von diesem Zeitpunkt an, viele Jahre hindurch ein treuer, eifersüchtiger Freund Max Reinhardts, gelang es, dank seiner internationalen Beziehungen, alle Schwierigkeiten zu überwinden. So wurde Reinhardt von Morris Gest im Februar eingeladen, nach New York zu kommen. Die Abreise zögerte sich noch bis zum Frühjahr hinaus, aber am 18. April kam Reinhardt endlich in New York an. Man einigte sich auf eine MIRAKEL-Aufführung. Der New Yorker Bankier Otto H. Kahn, ein bedeutender Kunstmäzen, finanzierte das Gastspiel, Kenneth MacGowan brachte Reinhardt mit Norman Bel Geddes zusammen. MacGowan und Lee Simonson waren seinerzeit unter den ersten Gästen gewesen, die Reinhardt in Leopoldskron empfing. Sie waren damals erfüllt von dem Eindruck der Aufführungen im Redoutensaal. Ein überaus angeregtes Gespräch über Commedia dell'Arte, Theater, Dekorationen entspannsich zwischen Reinhardt und seinen beiden Gästen. Nun sah MacGowan Reinhardt in New York wieder. Er wußte von den MIRAKEL-Plänen und es war ihm klar, daß nur ein Genie wie Norman Bel Geddes ein ebenbürtiger Mitarbeiter für Reinhardt sein könne. Überdies hatte Reinhardt in Amsterdam die Entwürfe und Modelle für eine Aufführung von Dantes GÖTTLICHER KOMÖDIE gesehen, die Geddes dort ausgestellt hatte. Ihm war davon ein sehr starker Eindruck geblieben. Die erste Unterredung zwischen ihm und Geddes dauerteviele Stunden lang. Reinhardts Entschluß, Geddes heranzuziehen, stand sofort fest. Sie besichtigten zusammen das Hippodrome und das Century Theatre. Obwohl Reinhardt ursprünglich die Dimensionen des Hippodrome bevorzugte, fiel die Wahl doch schließlich auf das Century Theatre. Es wurde vereinbart, daß Geddes alle Entwürfe fertigstellen und damit Anfang Juli nach Salzburg kommen sollte, um sie Reinhardt und Gest vorzulegen. Die endgültigen Besprechungen mit Gest sollten dann dort stattfinden. Das Abkommen zwischen Reinhardt und Gest wurde am 18. Mai unterzeichnet und Reinhardt verließ Amerika am nächsten Tag auf der OLYMPIC.

Es ist nicht leicht, ein Bild dieses Sommers zu geben. Die kurzen Wochen waren mit fieberhaften Konferenzen geladen, Amerikaner und andere Gäste aus aller Herren Ländern strömten zum ersten Mal in Scharen nach Salzburg und vor allem nach Leopoldskron. Die Vorarbeiten für das MIRAKEL waren dort in vollem Gange. Reinhardt hatte schon im Juni einen kleinen Kreis von Mitarbeitern um sich versammelt. Gemeinsame Arbeit sollte sie von diesem Zeitpunkt an viele Jahre hindurch mit ihm verbinden. Da war der New Yorker Maler Ernest de Weerth, Reinhardts Assistent als Vermittler in bezug auf dekorative Fragen zwischen Reinhardt und Geddes; Oliver Sayler, dessen Buch MAX REINHARDT AND HIS THEATRE um diese Zeit im Entstehen war, und seine Frau, Lucie, eine Malerin; Rudolf Kommer, dessen wichtige Rolle als objektiver Beurteiler und Beschwichtiger in schwierigen, stürmischen Situationen alle bald schätzen lernten. Norman Bel Geddes kam etwas später und blieb bis Anfang September.

Für den musikalischen Teil der Aufführung waren Friedrich Schiriner und Einar Nilson, Reinhardts langjähriger bewährter Mitarbeiter, nach Salzburg berufen worden, um Humperdincks Musik der Neuinszenierung anzupassen, zu ergänzen und neu zu orchestrieren.

Es waren herrliche heiße Sommertage. Man saß unter der Altane oder in der kühlen Halle. Reinhardt, der gern im Gehen sprach, ging endlos mit Gest durch die Allee zum Herkulesteich und über die Wiesen zum Seeufer. Und, wenn es doch einmal regnete, was ja in Salzburg unvermeidlich ist, konnte ihn selbst das nicht von diesen peripatetischen Gesprächen abhalten. Der Aufenthalt von Morris Gest in Salzburg dauerte nur fünf Tage. Er war hereingeweht, mit der fliegenden schwarzen Krawatte, dem breiten schwarzen Hut, etwas zu weiten Anzügen. Ein Spazierstock schien für ihn unerläßlich zu sein. Immer war er darauf bedacht, eine 'Rolle' zu spielen. Ob es nun die Betonung seines russischen Judentums war, der Besuch seiner Heimatstadt Wilna, die in seinen Worten in allem Zauber seiner armseligen Kindheit auferstand, oder kühne Theaterpläne, die in die Zukunft griffen. Er war laut, brauchte immer Menschen um sich oder Musik - (bei einem späteren Besuch, als er in Leopoldskron wohnte, spielte in seinem Zimmer ununterbrochen ein Grammophon). Er umgab sich mit Journalisten, Photographen, interviewte Schauspieler, die sich um ihn drängten, und, wenn er mit Reinhardt sprach, wurde er selbst zum Schauspieler, weil sein Unterbewußtsein ihm sagte, daß Reinhardt, 'der Menschenfresser', wie er manchmal genannt wurde, davon mehr fasziniert war, als von dem, was er zu sagen hatte. Trotzdem kam während seiner Anwesenheit Entscheidendes zustande, wenn er auch unbegreiflicherweise einen Tag vor der Ankunft von Norman Bel Geddes abreiste. Als er fort war, entstand zunächst so etwas wie ein Vakuum, das sich aber dann nur allzuschnell wieder füllte.

Die Ankunft von Geddes war der Auftakt zu einer sehr glücklichen fruchtbaren Zeit. Er kam mit der Bahn aus der Schweiz. Ein blutjunger Mensch mit einem blonden Haarschopf, in Hemdärmeln, sprang aus dem Zug, nur erfüllt von e i n e r Frage: ob seine kostbaren Zeichnungen, sein Gepäck, alles, was er aus Amerika mitgebracht hatte, am Tage vorher mit dem Expreßzug angekommen sei? Er war in Basel in einen falschen Zug eingestiegen. Der Expreß war mit allem, was er besaß, davongefahren. Ohne Rock, ohne Brieftasche und mit sehr wenig Kieingeld, sah er sich unverhofft in Luzern. Die erlösende Nachricht, daß Kommer bereits alles am Vortage vom Salzburger Bahnhof abgeholt hatte, beruhigte ihn. So konnte er die Einspänner" fahrt durch die Barockherrlichkeit Salzburgs hinaus nach Leopoldskron mit der ihm eigenen leidenschaftlichen Empfänglichkeit genießen. Daß Morris Gest abgereist war, ohne seine Ankunft abzuwarten, kam für ihn, der mit Gest schon einige Male zu tun gehabt hatte, nicht überraschend. Er ließ sich dadurch seine ansteckend frohe Laune nicht verderben. Er war jung, in einer schöpferischen Sturm-und-Drang-Periode seines Lebens, die mitreißend wirkte. Die leiseste Anregung Reinhardts fiel bei ihm auf fruchtbaren Boden, wuchs und zeitigte auf seinem Gebiete neue Blüten. Die Gespräche zwischen ihm und Reinhardt zogen sich durch Nächte bis ins Morgengrauen. DeWeerth übersetzte, was Geddes sagte, für Reinhardt ins Deutsche, ich übersetzte Reinhardts Worte für Geddes ins Englische. Wir übersetzten, während der Betreffende sprach, was eine ungeheure Anspannung bedeutete. Helene Thimig und Kommer nahmen an diesen Besprechungen im Arbeitszimmer Max Reinhardts ebenfalls teil. Da konnte es geschehen, daß nach vielen Stunden solcher Diskussionen alle so erschöpft waren, daß der leiseste Anlaß genügte, um unaufhaltsames Lachen auszulösen. Eine Zeichnung DeWeerths im Leopoldskroner Fremdenbuch hat dieses Symposium festgehalten. Geddes zeichnete zum Abschied am 9. September im Fremdenbuch den Marmorsaal und schrieb folgende Widmung darunter:

Leopoldskron 'The Many Theatre' house
or 'The Tale of a Hundred and One Stages'
and the Nursery of the Miracle.
With best wishes to Frau Helene Thimig
for ever and ever and ever
Norman Bel Geddes

Die fieberhafte Arbeit zog sich durch viele Wochen hin und die Geräumigkeit des Schlosses kam dabei sehr zustatten. Während die Musiker im venezianischen Musikzimmer, bei dem wundervollen Steinwayflügel, der inzwischen mit anderem Umzugsgut aus Berlin gekommen war, ihre Zusammenkünfte hatten, konnten Bühnenbildner und Maler in ihren Zimmern, die sich immer mehr in Ateliers verwandelten, ungestört an ihren Entwürfen arbeiten. Das Ehepaar Sayler wohnte in Gastzimmern im Meierhof, wo Oliver Sayler Ruhe für die Vorarbeiten an seinem Buche hatte.

Die Salzburger Festspielgemeinde hatte sich außerstande erklärt, in diesem Sommer Festspiele abzuhalten. Der einzige Sommer zwischen 1920 und 1937, in dem keine JEDIERMANN-Aufführung stattfand. Innerhalb von zwei Jahren hatten die Festspiele einen ungeheuren Aufschwung genommen, aber es galt, weiter zu werben, neue Freunde zu gewinnen. Die einjährige Unterbrechung konnte gefährlich werden. So entschloß sich Max Reinhardt, in diesem Sommer die künstlerischen Möglichkeiten, die er von Anfang an in Leopoldskron gesehen hatte, zu verwirklichen. Kammermusik, Serenade auf der See-Terrasse, vor allem aber eine Aufführung von Molieres DER EINGEBILDETE KRANKE im großen Marmorsaal des Schlosses. Abgesehen von der Freude, die er selbst an diesen Veranstaltungen hatte, ehrte er damit die Gäste, die, durch den Zauber seines Namens angelockt, aus England, Amerika, Schweden, Frankreich und zahllosen anderen Ländern seinetwegen und der Festspiele wegen nach Salzburg gekommen waren. Freilich konnte es sich dabei immer nur um eine beschränkte Anzahl geladener Gäste handeln. Diesen wenigen wurde es aber zu einem unvergeßlichen Erlebnis. Im Salzburger Stadttheater fand dann noch am 21. August eine Aufführung statt. Der Abend in Leopoldskron war auf den Programmen als 'Generalprobe' dafür angekündigt worden. Max Pallenberg spielte die Hauptrolle. Sie war ihm von den Kammerspielen her vertraut. Hier aber war wieder alles neu: Reinhardts Inszenierung in Leopoldskron war von dem festlichen Rahmen des Schlosses bedingt. So floß Spiel und Wirklichkeit verwirrend und beglückend ineinander. Er hatte Pallenberg zum Herrn des Hauses gemacht, der seine Gäste in der Halle, bei der Treppe, empfing. Dein Meister des Extempores war für diese Eingangsszene ein Freibrief gegeben worden. Sein quäkendes Organ dominierte das Stimmengewirr der eintretenden Gäste. Er machte sie zu seinen Vertrauten, indem er ihnen seine Leiden schilderte, auf Brust und Ohren deutend, seine Vermutung, daß er ernstlich krank sei, flüsternd, daran verzweifeln& daß es gelingen könne, seine Schmerzen zu lokalisieren. Mit weicher matter Hand hielt er seine Freunde fest, um Aug' in Auge Mitleid zu erzwingen. So spielte er sich langsam die Treppen hinauf, bis er im Marmorsaal erschöpft in seinen barocken Krankensessel niedersank.

Ein Feuer brannte im Kamin. Seine flackernden Flammen und das' warme Licht der Wachskerzen in Wandarmen und Lustern spielte auf dem Zartrosa der Marmorpilaster, im irisierenden alten Glas der hohen Fenster. Auf den Firmianschen lachsroten Barockbänken, deren Breite und Tiefe für Krinolinen berechnet war, in hohen Fauteuils" und tiefen Sesseln saßen die Zuschauer. Ein sonderbares Assemblee! Zusammengewürfelt aus aller Herren Ländern. Durchgeistigte Physiognomien, schöne junge Amerikanerinnen, alte ruinenhafte englische Aristokratinnen mit Tiara und Purpurüberwürfen, Dichter, Maler, Schauspieler, Salzburger Honoratioren. Maria Cartni mit ihrem Prinzen Matchabelli und ihre künftige Rivalin als Darstellerin der Madonna im MIRAKEL, Lady Diana Manners, die Gattin des englischen Diplomaten Duff Cooper, die Herzogin von Rutland, ihre Mutter, und zahllose andere.

Der Marmorsaal hat zwei Galerien. Dort oben stand Max Reinhardt vor Beginn des Spiels, im Schatten einer Türe, und nahm das Bild dieses festlichen Saales in sich auf. Niemand konnte einen solchen Abend mehr genießen als er selbst.

Von diesen Galerien aus begleitete eine kleine Musikkapelle, ebenfalls im Kostüm der Zeit, die kurzen Tanz- Zwischenspiele, in denen Commedia dell'Arte-Gestalten wie ein bunter Traum vorbeizogen: Colombine, Harlekin, Polichinelle, Dottore und Zerbinetta.

Hansi Niese spielte die Toinette, Friedell Dr. Diafoirus. Ihm glaubte man die lateinischen Phrasen und die gelehrsame Überlegenheit. Was er zu sagen hatte, war durch wirkliches Wissen gedeckt und seine Komik war zwingend in ihrer Schärfe. Durch eine Fülle geistreicher Externpores wollte er Pallenberg in Verlegenheit setzen und der Dia1og drohte nicht zu enden, weil Pallenberg, auf seine Art ebenfalls ein Meister des Extempores, Friedell nichts schuldig blieb. Seine gallige Komik, seine quäkende Stimme flackerte wie das Kerzenlicht ini Saal. Der Baß der Niese bildete dazu den Kontrapunkt und sie ließ, in alter Wiener Komödianten-Tradition, alle Register spielen. Zwischen den Komikern war eine eifersüchtige Rivalität, die Reinhardt durchschaute und amüsiert beobachtete. - Hans Thimig war der hilflose Sohn des Dr. Diafoirus, Brausewetter der Liebhaber Cleant.

In der Pause wurden die hohen Glastüren geöffnet und die Gäste sahen von der Altane aus den mondbeschienenen See und hinter der dunklen Kulisse des Waldes den fernen Untersberg. Es war so viel Ahnungsvolles in diesem Abend!

Als dann die letzten Gäste gegangen waren, saß Reinhardt mit Freunden und Mitarbeitern, die im Hause wohnten, in dem leeren Saal, den der Duft der herabgebrannten Wachskerzen und der erlöschenden Holzfeuer in den Kaminen durchzog. Das Nachtgesicht des Saales war ebenso anziehend wie sein festlichstes Leuchten. Schatten standen in den Ecken, die das Licht der hohen Meißner Armleuchter auf dem Tisch, an dem man saß, umso wärmer machten. Das Erlebnis des Abends und die Reaktion der einzelnen Zuschauer wurden be.sprochen. Reinhardt war ein scharfer Beobachter, hellhörig für den Zusammenklang von Schauspieler und Publikum und empfänglich für Urteile der Menschen in seinem Kreise. Freudige Entspannung setzte ein und schließlich schaute der fahle Morgen durch die Fenster. Es wehte feucht vom See herauf. Mit schwerem Flug kehrte die Eule, deren Schrei so oft die Nacht durchriß, in ihre hohe Tanne zurück, und vom Leopoldskroner Moos herüber drang der erste Hahnenschrei.

Wenn sich die Hausgäste in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, kam es dann meistens noch zu einem Gespräch mit Reinhardt, in dem der Schlachtplan für den nächsten Tag festgelegt wurde. Aus den Taschen seines Anzugs holte er ungeöffnete Telegramme und in seinem Arbeitszimmer suchte er Briefe aus seiner Ledermappe, wo sie im Drange der Arbeit gelandet und infolgedessen unbeantwortet geblieben waren.

Reinhardt liebte Kammermusik. Er hatte fÜr den Marmorsaal schöne Musikpulte machen lassen. Ein barocke% Firmiansches Pult, das er im Schloß vorfand, war von Salzburger Handwerkern, denen da, kostbare Erbe alter Tradition ihres Gewerbes eignete, nadigearbeitet worden. Mit Intarsien, Schnitzereien und Messing-Kerzenhältern. An Kammermusikabenden brannten nur die Kerzen in den Wandarinen an den Wänden und in der Mitte des Saales standen die vier Pulte., Das Rose-Quartett hat dort gespielt und andere bedeutende Kammermusiker. Die Zuhörer saßen in einem weiten Kreis um diese Insel.

Wie alles in Reinhardts Leben, mußte auch ein solcher Abend meist unter Hochdruck zustande gebracht werden. Daß die Wiener Philharmoniker während der Festspielzeit in Salzburg waren, erleichterte die Aufgabe. Allerdings benützten sie probenfreie Tage, um Ausflüge in die Umgebung zu machen. So war es nicht immer leicht, ihnen die Einladung, in Leopoldskron zu spielen, zu übermitteln, das Programm mit ihnen festzulegen. Aber auch Mitglieder des Mozarteum-Orchesters haben an solchen Abenden teilgenommen und Professor Bernhard Paumgartner war stets ein hilfreicher Berater. In späteren Jahren fanden Serenaden auf der Seeterrasse statt. Die Zuhörer säßen auf der Altane des Marmorsaales. Windlichter flackerten im Rosenparterre und, wie zu Mozarts Zeiten, standen die Musiker im Halbkreis bei ihren Pulten. Phantastische Schatten fielen auf die niedrigen Buchshecken. Der Duft von Lavendel, Rosen und Orangenblüten wurde mit den Klängen von Mozarts Divertimento heraufgeweht, wenn der Wind vom See herüberstrich, und auf dem Augusthimmel funkelten die Sterne.

Solche Abende trugen Reinhardt weit weg von allen Sorgen, die ihn bedrückten. Denn niemals, in all den Jahren, war er frei von Bedrängnissen aller Art: zuerst der Krieg, die Nachkriegsnot, Direktionssorgen, das Bangen um Edmunds Gesundheit, eine Angst, die von Jahr zu Jahr wuchs, sein Ehekonflikt, der von Else Heims unerbittlich endlos geschürt, wie ein schleichendes Gift sein Leben durchzog, um erst viele Jahre später zu enden, Verpflichtungen, die ihn mit eiserner Zwinge hielten. Demgegenüber stand freilich das Beglückende seiner Arbeit, die Verbindung mit der Gefährtin seiner Wahl, Helene Thimig, und die Freude an diesem Leopoldskron, das ihm eine so reiche Erfüllung seiner Wünsche brachte.


version: 24.6.04
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Alexander's Feast - a novel about the Salzburg Seminar in Schloss Leopoldskron
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Joachim Gruber