Die Überwachung durch die Sicherheitsbehörden in Deutschland

Die Überwachung hat ein Ausmaß angenommen, das ein Engagement der Bürger erfordert.
Auf einer Spezial-Seite "Der große Lauschangriff" der Frankfurter Rundschau stellen Politiker und Juristen Einzelheiten der Überwachung dar:

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Baum kündigt erneute Klage gegen Großen Lauschangriff an

Interview mit Gerhard Baum (FDP), ehemaliger Bundesinnenminister
Moderation: Klaus Remme

Deutschlandfunk - Interview
Sendezeit: 08.07.2004 06:50
Sendung: Informationen am Morgen
Länge: 06:33 Minute
Text zum Beitrag: [Baum kündigt erneute Klage gegen Großen Lauschangriff an]

Auszug

"Klaus Remme (DLF): Die Regierung will die Wohnraumüberwachung gleichzeitig verschärfen. Künftig soll sie auch bei Berufsgruppen möglich sein, die bisher geschützt waren, weil sie als Geheimnisträger gelten, Anwälte, Journalisten oder Ärzte zum Beispiel.

Gerhard Baum: Das [Bundesverfassungs-]Gericht hat [mit seinem Urteil im März 2004] Grenzen aufgezeigt, die ganz klar unseren Intentionen entsprechen. Sie müssen wissen, zwei Drittel der Kosten dieses Rechtsstreits hat die Bundesregierung zu übernehmen und nur ein Drittel wir. Wir haben also uns weitgehend durchgesetzt mit unserem Bedenken gegen den großen Lauschangriff. Wir haben dazu fünf Jahre gebraucht. Das ist ein wegweisendes Urteil, die Kommentatoren sagen, ein großes Urteil, denn hier wird die Grenze bestimmt. Die Grenze für die Effizienz der staatlichen Strafverfolgung ist die Menschenwürde, und diese Grenze darf nicht überschritten werden.

... Es werden eine Vielzahl von Personen, Geheimnisträger, die ausgenommen waren, wie Sie schon gesagt haben, einbezogen. Ärzte, Anwälte, Steuer- und Drogenberater, Psychologen, Journalisten sollen künftig abgehört werden, wenn - so steht es da drin - "unabweisbare Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung unter besonderer Beachtung des Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dies erfordern". Das Gericht hat ausdrücklich gesagt, dass in diesem Bereich, im Kernbereich privater Lebensgestaltung eine Abwägung, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gar nicht mehr stattfinden darf. Das mag man nun akzeptieren oder nicht, man muss es jedenfalls respektieren. Vor allem muss die Bundesregierung, die in Karlsruhe verloren hat, das respektieren. Ich hoffe, dass das Parlament oder die Regierung selber das korrigieren wird.

... wir erkennen nicht an, dass immer neue Freiheitseinschränkungen erfolgen, die zur Kriminalitätsbekämpfung gar nicht notwendig sind. Wir haben eine Serie von Maßnahmen seit dem 11. September erlebt, mit denen in den privaten Lebensbereich eingegriffen wurde. Es werden zum Beispiel viel zu viele Daten erhoben, vor allen Dingen von unverdächtigen Bürgern, die unkontrolliert verwertet werden können. Also wir haben hier eine Qualitätsverschlechterung unseres Rechtsstaates, übrigens schon seit der RAF-Bekämpfung. Das können wir nicht hinnehmen. Es wird praktisch jede Gelegenheit genutzt - das Zuwanderungsgesetz war die letzte Gelegenheit -, rechtsstaatliche Garantien wegzunehmen.

...Also das Gericht hat sich ... in erster Linie mit unserer Verfassung auseinandergesetzt, mit dem Grundsatz Menschenwürde und mit dem Grundsatz beispielsweise Schutz der Familie, und hat gesagt, in diesem inneren Kernbereich darf der Staat nicht hinein. Wir reden über die Strafverfolgung, also nicht über die Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Straftat, wo die Situation eine andere ist.

... Der Verfassungsschutz arbeitet mit einem ganz anderen Bereich [als die Polizei] und an anderen Vollmachten. Er geht also Verdacht nach, oder er beobachtet sogar eine Situation ohne Verdacht, während die Polizei erst tätig werden kann, wenn wirklich ein Verdacht da ist. [Eine] Vermischung darf nicht erfolgen. Wir dürfen nicht wieder zurück in die Vermischung, wie sie bei der geheimen Staatspolizei der Nazis stattgefunden hat."

Datenschützer dringt auf eine baldige Überprüfung der zur Terrorbekämpfung eingeführten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden.

In den USA dürften die elektronischen Daten von den [Internet-] Anbietern auf Antrag der Behörden nur in begründeten Einzelfällen gespeichert werden. Und herausgegeben werden müssen sie nur dann, wenn innerhalb von 90 Tagen ein richterlicher Beschluß vorgelegt wird. Die Regierung solle in der EU von ihrem Vetorecht Gebrauch machen und sich gegen eine solche Regelung einsetzen. Schaar forderte ein Gesetz zur Begrenzung der Telekommunikationsüberwachung.

Artikel erschienen in der WELT am Mi, 20. April 2005

Der [Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar,] dringt außerdem auf eine baldige Überprüfung der zur Terrorbekämpfung eingeführten Befugnisse für die Sicherheitsbehörden. Nicht jeder Fahndungserfolg könne als Argument für die Beibehaltung oder gar Ausweitung von Grundrechtseingriffen angeführt werden, sagte Schaar. Beschränkungen, die sich als unnötig herausstellten, müßten wieder zurückgenommen werden.

Für "außergewöhnlich kritisch" hält er die auf EU-Ebene diskutierte und von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) begrüßte Initiative zur Einführung einer Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten für ein bis drei Jahre. "Wir müssen alles vermeiden, den Providern Hilfssheriff-Sterne ans Revers zu heften", warnte Schaar.

In den USA dürften die elektronischen Daten von den Anbietern

  1. auf Antrag der Behörden nur in begründeten Einzelfällen gespeichert werden.
  2. Und herausgegeben werden müssen sie nur dann, wenn innerhalb von 90 Tagen ein richterlicher Beschluß vorgelegt wird.

Dies sei "wesentlich datenschutzfreundlicher". Die Regierung solle in der EU von ihrem Vetorecht Gebrauch machen und sich gegen eine solche Regelung einsetzen. Schaar forderte ein Gesetz zur Begrenzung der Telekommunikationsüberwachung.

Der Bundestag hat sich bereits mit großer Mehrheit gegen eine Vorratsspeicherung ausgesprochen. FDP-Innenexperte Max Stadler begrüßte daher gestern die Forderung Schaars. "Die von Schily angestrebte Vorratsspeicherung ist ein Beispiel für die Tendenz, daß die richtige Gewichtung zwischen Sicherheit und Datenschutz verlorengeht", sagte Stadler der WELT. Eine einseitig sicherheitsbezogene Abwägung von Maßnahmen bemängelte auch Silke Stokar (Grüne). "Statt Datenberge anzuhäufen, die niemand bewältigen kann, sollten qualifizierte auswertbare Datenmengen gesammelt werden", sagte die Innenpolitikerin der WELT. Voraussetzung sei eine transparente Debatte, die sie beim Einsatz der Biometrie vermisse.

Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und der zunehmenden Regeln zum Schutz der inneren Sicherheit wünschte sich Peter Schaar grundsätzlich, "daß der Datenschutz ernster genommen wird". So solle jedes Gesetzesvorhaben vorab auf seine Datenschutztauglichkeit überprüft werden. Das sei leider nicht der Fall.

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Version: April 20, 2005
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Joachim Gruber
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