Kritik am Vortrag von Detlef Appel "Geologische Aspekte der Endlagerung mit Rückholbarkeit von Abfällen", 9.5.2011

Joachim Gruber

These: Die vorgestellte Gliederung der Probleme ist nicht spezifisch genug, um die notwendigen Forschungsprojekte zu benennen.


Text von D. Appel

offene Fragen, notwendige Spezifizierung

Fähigkeit geologischer Barrieren, Radionuklide / andere schädliche Stoffe einzuschließen / zurückzuhalten

Wir haben noch nicht die Methoden, das zu quantifizieren.

geologische Barrieren bieten passive Sicherheit; Nachsorge (Wartung  und Reparatur) nicht erforderlich -was allerdings zu "beweisen" ist!

Wie soll der Beweis geführt werden?


passiver Zustand wird innerhalb "kurzer" Zeit erreicht 


Wie ist "passiver Zustand" definiert? Worauf stützt sich diese Angabe einer kurzen Zeitspanne?

Wirkung und Erhalt der sicherheitsbezogenen Eigenschaften geologischer Barrieren aus Naturbeobachtungen bzw. Standortentwicklung in der Vergangenheit ableitbar

Wie soll diese Ableitung geschehen? Ortoleva führt ein Modell vor, das die in Deutschland gängige Extrapolation des Verhaltens aus der Vergangenheit als falsch beweist.

Reduzierung von / sorgfältiger Umgang mit Unsicherheiten

Mit welchen Modellen?

breite Diskussion / Berücksichtigung ethischer Belange (insbesondere Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit) und ihrer Konsequenzen  


Beteiligung von Betroffenen / der Öffentlichkeit an Entscheidungsprozessen

 


Entsprechende Verfahrensregeln und Verfahrenstransparenz (unabhängige Verfahrenskontrolle, Vergleich von Alternativen, ...) 

Wie kann das verwirklicht werden? Was können wir amerikanischen Vorgehen lernen?


Was sind z.B. die Unterschiede zwischen der Asse-Internet-Präsenz und der des Waste Isolation Pilot Plant in den USA? Konsequenzen für die Zukunft?

in Deutschland gilt die internationale Praxis nur eingeschränkt. 

Wo liegen die Einschränkungen? 

Die Fälle Asse und Morsleben zeigen, dass (technisch / politisch) zuständige Personen / Institutionen sicherheitstechnisch falsche Entscheidungen getroffen bzw. kritische sicherheitstechnische Verhältnisse - zumindest gegenüber der Öffentlichkeit - verschwiegen und verharmlost haben.

Warum wurde gerade die Öffentlichkeit nicht informiert? Mit welchen Methoden kann man das zkünfig ausschließen?

Weite Teile der Öffentlichkeit sind daher überzeugt, dass die Option "Endlagerung in Steinsalz" sicherheitstechnisch gescheitert ist. 

Welche Rolle sollen "weite Teile der Öffentlichkeit" übernehmen und in welchem Rahmen? 

Ist diese Überzeugung wissenschaftlich gerechtfertigt?

Das Vertrauen weiter Teile der Öffentlichkeit in Fähigkeit und Bereitschaft der (technisch / politisch) verantwortlichen Institutionen, die radioaktiven Abfälle so dauerhaft sicher endzulagern, ist beschädigt. 

Welche Formen der Kontrolle hat sich die Öffentlichkeit vorenthalten lassen? Warum hat sich die Öffentlichkeit mit zu wenig Sachverstand beteiligt? Ist nur das Vertrauen beschädigt, oder haben sich die Institutionen (in welchen Bereichen?) als unfähig herausgestellt und warum?

Einschlusswirksamer Gebirgsbereich (Wirtsgestein) soll Schadstoffe einschließen und so möglichst lange von Biosphäre fernhalten

Wie kann man "einschlußwirksam" definieren? Welche Geochemie ist zu verwenden? Wo ist die Schnittstelle zur Biosphäre?

nur sehr geringe Erhöhung der natürlichen Strahlenexposition durch Freisetzung radioaktiver Stoffe, keine Gefährdung der Artenvielfalt

Welche Expositionspfade sind anzusetzen, d.h. auch: welches sind die chemischen Formen, in denen die Radionuklide in der Biosphäre ankommen und wie verändern sich diese innerhalb welcher Zeiträume in der Biosphäre?

Formation mit hohem Einschlussvermögen (einschlusswirksamer Gebirgsbereich). Keine / allenfalls geringfügige Freisetzung

Wie soll das Einschlussvermögen bemessen werden? Welche Freisetzung ist noch geringfügig: geringe Radionuklidkonzentration in Leckage - oder geringes freigesetztes RN-Inventar? Wie spezifiziert man "gering"?

Anreicherung geringer Leckagen in Radionuklid-Schockwellen 

Barrierensystem: robust, gestaffelt, passiv, wartungsfrei 


Auf Grund welcher Modelle kann man einem Barrieresystem diese Eigenschaften zuordnen?

Bergungsmöglichkeit (Handhabbarkeit) der Behälter für 500 Jahre. Keine Beeinträchtigung der passiven Sicherheitsbarrieren und damit der Langzeitsicherheit durch Maßnahmen zur Sicherstellung der Rückholung oder Bergung 

wie können diese Forderungen in Einklang zueinander gebracht werden?

möglichst zügige Errichtung des Endlagers

Welche Zeitvorgaben wären einzuhalten, auch auf Kosten der Verfolgung neuer, beim Bau auftauchender Aspekte?

finanzielle Mittel für Endlagererrichtung, -betrieb und -stilllegung bereitstellen

in welcher Höhe?

Argumente für und gegen Rückholbarkeit:


durch In-situ-Untersuchung / Beobachtung Verständnis über Endlagersystem und damit Nachweisqualität verbessern.


Gerechtigkeit: Handlungsspielraum künftiger Generationen


demokratische Teilhabe an Enscheidungen, 


Akzeptanzförderung

Die in diesem Punkt angeführte Gliederung ist angesichts des von Marcos Buser vorgestellten Konzepts obsolet.


Im Einzelnen:

Von welchem Zeitpunkt an entscheidet man, daß die geleistete Forschungsarbeit eine Exploration (in welchem Umfang?) erlaubt?


Unerwähnt bleibt hier die systembedingte Inkompetenz und Lückenhaftigkeit der Arbeiten in den vergangenen Jahrzehnten


Besser: Kontrolle der wissenschaftlich/technischen Arbeiten durch allgemeine Öffentlichkeit und interessierte Fachleute. Wie kann man diese Kontrolle erleichtern?


Akzeptanzförderung ist das falsche Paradigma: Es fehlt nicht an Akzeptanz sondern an Transparenz und Beteiligung. Handlungsbedarf ist auf beiden Seiten, d.h. die Grenze zwischen Akteuren und teilnehmender Öffentlichkeit muß verschwimmen.

Prognosen über die künftige Entwicklung der Gesellschaft mit größeren Unsicherheiten behaftet als bei geologischen Systemen.

Das ist das in Deutschland übliche pauschale, bisher nicht quantifizierte Argument der Geologen, was Ortoleva widerlegt hat. 

Geologische Aspekte der Rückholbarkeit von Abfällen betreffen direkt oder indirekt vor allem 


- die dauerhafte Funktionstüchtigkeit der geologischen / geotechnischen Barrieren 


- die Zuverlässigkeit des entsprechenden Nachweises (Langzeitsicherheit) 


- Technik und Aufwand der Einlagerung / Rückholung von Abfallgebinden 


- die Sicherung der Abfälle (safeguards) 


... haben hinsichtlich ihrer sicherheitstechnischen Bedeutung Bezug zu Entscheidungsschritten / Phasen der Endlagerentwicklung

Wie lassen sich aus diesen Punkten neue Forschungsprojekte formulieren? 


Sind sie nicht zu allgemein gehalten, um hilfreich zu sein?

Granit, Gneis mechanisch fest (falls nicht stark geklüftet) 

- Ausbau nicht/ nur in geringem Ausmaß erforderlich 

- Einlagerungshohlräume formstabil für relativ lange Zeiträume

Über welche Zeiträume sind diese Aussagen bewiesen?

Quantifizierung von "gering", d.h. gering im Vergleich zur Grenze der Beeinträchtigung des Einschlusses?

Steinsalz 

als Wirtsgestein vorgesehen in Deutschland, evtl. Niederlande.

Als Wirtsgestein bereits genutzt in USA (WIPP) 


sehr geringe Permeabilität bzw. "dicht" 


Salzgrus (Verschluss-/ Versatzmaterial für Einlagerungsbohrlöcher und Strecken) nimmt unter Konvergenzdruck Eigenschaften von ungestörtem Steinsalz an


- visko-plastisches mechanisches Verhalten (Konvergenz, Geschwindigkeit durch Wärmeeintrag erhöht) 


Einlagerungshohlräumestandsicher, aber nicht formstabil 


Ringraum bei Einlagerungsbohrlöchern wird rasch geschlossen 


in mit Salzgrus versetzten Strecken zu Einlagerungsbereichen zusätzliche Dichtbauwerke zur Verhinderung des Laugenzutritts an Behälter erforderlich 

Diese Argumente wurden schon 1978 genannt. Sind keine neuen Aspekte dazugekommen?


Im Internet muss die gesamte internationale Literatur zur Langzeitsicherheit kostenlos vorliegen, damit die Öffentlichkeit (crowd), speziell die wissenschaftliche Öffentlichkeit, an der Lösung der Probleme teilnehmen kann. Wir sind zur Zeit weit davon entfernt.

Nach meiner Einschätzung existiert, speziell in Deutschland, noch keine ausreichende wissenschaftliche Basis dafür, die Qualität von Langzeitsicherheitmodellen zu bewerten. Daher können wir auch nicht beurteilen, ob ein Standort "bestmöglich" ist. Wir können noch nicht quantifizieren, wie brauchbar ein Standort ist.



erste Version: 2.8.2011
aktuelle Version: 18.8.2015
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Joachim Gruber