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von Gerhard Memmert
zur Zeit der Veröffentlichung: Ordinarius, Institut für Energietechnik, Technische Universität Berlin
und
Mitglied im Projekt Sicherheitsstudien Entsorgung, PSE
von Joachim Gruber
Inhalt
G. Memmert berechnete die Radionuklidausbreitung innerhalb des Deckgebirges und aus ihm heraus und die daraus resultierende radiologische Belastung (Dosisraten) einer Bevölkerung, welche dort lebt oder ihr Trinkwasser und ihre Nahrungsmittel ausschließlich von dort bezieht. Er geht dabei von vier Annahmen aus, von denen die ersten drei schon zur Zeit des Abfassung des Berichts nicht mehr Stand der internationalen Forschung waren und die vierte 10 Jahre nach Memmerts Publikation von der Internationalen Strahlenschutzkommission als fragwürdig erklärt wurde:
Latest version at: http://acamedia.info/sciences/J_G/references/memmert/deckgebirge.htm
Für die Berechnungen machte Gerhard Memmert folgende 4 einschränkende Annahmen:
Beispielsweise ist der Transferkoeffizient
Zu Annahme 1
Wegen der hohen und langlebigen Radiotoxizität des hochaktiven Abfalls sind schon kleinste Radionuklidmengen gefährlich, und daher darf man
Zu Annahme 2
Annahme 2 geht davon aus, daß sich die heutige Salzverteilung (2. Modell in Annahme 2) oder die heutigen Grundwasserbewegungen (1. Modell in Annahme 2) während der notwendigen Isolationszeit des radioaktiven Abfalls nicht wesentlich ändern werden, d.h. die geologisch-geochemischen Verhältnisse so bleiben, wie wir sie heute antreffen. Ortoleva hat diese Annahme in Frage gestellt.
Zu Annahme 3
Kd eines Radionuklids ist nicht konstant, sondern variiert mit den geochemischen Bedingungen (Beispiel). Annahme 3 ist daher unvereinbar mit den Empfehlungen zur Benutzung des Kd (im Cache).
Wenn man ein konstantes Kd annimmt, schließt man die meisten der heute bekannten geochemischen Prozesse aus. Das Konzept konstanter Kd (chapter 2.3.1 Constant Partition Coefficient (Kd) Model, Seite 2.16 in "UNDERSTANDING VARIATION IN PARTITION COEFFICIENT, Kd, VALUES", Volume I: The Kd Model, Methods of Measurement, and Application of Chemical Reaction Codes, United States Environmental Protection Agency, Office of Air and Radiation, EPA 402-R-99-004A, August 1999 (im Cache)
Dessen ist sich Memmert offensichtlich nicht bewußt: Im Literaturverzeichnis zitiert er keine Arbeiten zur Geochemie der Ausbreitung von Schadstoffen, obwohl Darstellungen wesentlicher Problemfelder im Jahr 1996 schon in Monographien vorlagen. Beispiele:
-Interessant in diesem Zusammenhang: Die aus dem Chernobyl-Reaktor entlassenen Radionuklide haben sich in der globalen Atmosphäre ungleichmäßig verteilt. Figure 1 in Lange, R., Dickerson, M.H. & Gudiksen, P.H., Dose Estimates from the the Chernobyl Accident, Nucl. Techn. 82: 311-322, 1987. UCRL-96934 Preprint, CONF - 871101 -- 78 (in cache)-
Schritt 1:
Die Konzentrationsverläufe entlang der Expositionspfade sind durch die Transferkoeffizienten gegeben. Man weiß, daß z.B. Schwermetalle sich in der Umwelt anreichern (Beispiel: Radiocaesium-belastete Pilze). Die Abläufe dabei gleichen der Anreicherung in der Geosphäre. Je länger ein Expositionspfad ist, desto stärker kann die Anreicherung werden (Beispiel: Bioakkumulation in Fischen, beschrieben im Transferkoeffizienten Bip). Die langlebigen Radionuklide können Teil der Biosphäre werden, indem sie sich in dem an den Boden gekoppelten Kreislauf Boden-Pflanze-Tier-Klärschlamm-Boden anreichern. Dann würden (bisher nicht berechenbare) Teile der aus dem Endlager ausgetretenden Radionuklidinventare in die Biosphäre verlagert.
Die Boden-Pflanze-Transferkoeffizienten beispielsweise variieren abhängig von Bodenchemie und -physik um mehrere Größenordnungen (z.B. Chapter "2.3.4.3. Radionuclide transfer from soil to crops" auf Seiten 52-55 von: Report of the Chernobyl Forum Expert Group 'Environment', "Environmental Consequences of the Chernobyl Accident and Their Remedediation: Twenty Years of Experience", IAEA, 2006 (im Cache)). Für endlagerrelevante Zeiträume ist die Charakterisiserung eines Expositionspfads durch konstante Transferkoeffizienten daher ähnlich irreführend wie die der Wanderung von Schadstoffen in der Geosphäre durch ein konstantes Kd.
Die für die Variation der Transferkoeffizienten verantwortlichen Umweltparameter (z.B. die chemischen und physikalischen Eigenschaften des Bodens) verändern sich über die Jahrhunderttausende in bisher unbekanntem Maße. Daher sind die in diesem Schritt berechneten Radioaktivitätsaufnahmen (Bq/Jahr) mit einem unbekannten Fehler behaftet.
Schritt 2:
Die International Commission on Radiological Protection (ICRP) findet die Verwendung von Dosiskonversionsfaktoren zur Berechnung der radiologischen Belastung über Jahrhundert(tausend)e fragwürdig:
"(e) In the distant future the geological disposal facility might give rise to some releases to the accessible environment and the "safety case" has to demonstrate that such releases, should they occur, are compatible with regulation and radiological protection criteria. In application of the optimisation principle, the reference radiological impact criterion for the design of a waste disposal facility recommended by ICRP is an annual dose constraint for the population of 0.3 mSv in a year [ICRP 103], without any weighting of doses in the far future. For less likely events resulting in potential exposures, the Commission continues to recommend a risk constraint for the population of 1 10-5 per year. However, ICRP Publication 103 also warns that, human habits and characteristics is such that effective dose looses its direct connection to health detriment after the time span of a few generations. At the same time, in the distant future, the geosphere and the engineered system and, even more, the biosphere will evolve in a less predictable way. The scientific basis for dose and risk assessments at very long times into the future then becomes questionable and the strict application of numerical criteria may be inappropriate. Hence, the annual dose constraint of 0.3 mSv in a year is to be used for the sake of comparison of options rather than as means of assessing health detriment." Quelle: Executive Summary, "Radiological Protection in Geological Disposal of Long-Lived Solid Radioactive Waste", ICRP PUBLICATION XXX, Annals of the ICRP, ICRP ref 4838-8963-9177, July 21, 2011 (DRAFT REPORT FOR FOR CONSULTATION) (im Cache, 6.10.2011).
Darüberhinaus ignoriert der Dosiskonversionsfaktor strahlungsinduzierte Störungen des allgemeinen Gesundheitszustands der Bevölkerung und in deren Folge der sozialen Verhältnisse. (Soziale Folgen der Strahlenschädigung durch den Unfall von Chernobyl).
Seine Ergenisse faßt Memmert in einer graphischen Darstellung zusammen:
Abbildung: Dosisraten für Radionuklide (mit Halbwertszeit T > 65000 Jahre und Dosisrate > 0.1 mrem/a) in der Biosphäre nach vollständiger Radionuklidfreisetzung aus dem Endlager. 1 mrem = 0.01 mSv.
Am 2. 8.1982 schreibt Gerhard Memmert: "Für die Problemnuklide Tc, J, Np erscheint die Barrierewirkung des Deckgebirges zur Zeit nicht ausreichend." Weiterhin führt er aus, daß der Standort Gorleben nur "einer der zweitbesten" sein dürfte. (Quelle: Bericht zur Frage der politischen Einflussnahme auf den Zwischenbericht der PTB zur weiteren Erkundung des Standortes Gorleben (1983), im Cache) |
Gerhard Memmert bewertet seine Analyse mit folgenden Worten:
"Das Deckgebirge über einem Salzstock ist bei einer Dicke von etwa 250 m bis 300 m eine sehr effektive Barriere für Schadstoffe, die möglicherweise aus einer Deponie im Salzstock austreten können. Die Wirksamkeit dieser Barriere läßt sich ohne aufwendige und detaillierte Rechnungen ermitteln. Benötigt werden dazu lediglich Daten, welche die Verteilung der im Deckgebirge gelösten Mineralsalze beschreiben, sowie Grundwassermengen und Salzfrachten, die aus dem Deckgebirge in die Vorfluter austreten. Alle diese Daten sind im Beispiel des Salzstocks Gorleben bekannt."
...
(Es folgt eine zusammenfassende Darstellung der verwendeten Modelle und Ergebnisse. Die Zusammenfassung endet mit folgendem Satz.)
...
"Aus allem wird deutlich, wie außerordentlich groß das Sicherheitspotential des Endlagers allein durch die Struktur des Deckgebirges einzuschätzen ist."
Die Publikation ist Teil der mit öffentlichen Mitteln geförderten Langzeitsicherheitsforschung des deutschen nuklearen Establishments. Auf sie stützt sich die deutsche Regierung mit ihrer Aussage, die gegenwärtige Generation sei verpflichtet, noch zu ihren Lebzeiten den hochradioaktiven Abfall endzulagern. Wegen der oben beschriebenen gravierenden Beschränkungen der verwendeten Modelle und Parameter erfüllt die von Gerhard Memmert vorgestellte Forschung nicht die in diesem Rahmen notwendigen Qualitätsanforderungen. Diese Kritik konnte man schon zur Zeit ihrer Veröffentlichung auf Grund der damals vorliegenden Literatur üben.
Nach meiner Erfahrung
Version: 22 October 2017>